Warum der Handel auch zukünftig nicht gänzlich auf dieses Werbe-Medium verzichten sollte.
Dieser Beitrag von Ines Imdahl erschien in der aktuellen Ausgabe des POSbranding Handbuch
Zugegeben, wenn es um gute Werbung geht, dann fällt den meisten Menschen nicht gleich der Handel ein. Mit Ausnahme der jährlichen Weihnachtsfilme im Netz vielleicht. Ansonsten ist es eher Angebots- und Preiskommunikation, rund um Sonder- oder gar Lockangebote. Aber natürlich ist auch die Gestaltung und Produktpräsentation, Regalgestaltung und Zweitplatzierung vor Ort im Grunde Werbung im Handel. (Gleichwohl natürlich die Zweitplatzierungen sehr stark durch die Unternehmen mitgestaltet werden).
Und dann sind da noch die überquellenden Briefkästen. Für viele Menschen der Inbegriff von nerviger Werbung. Auch in Zeiten, wo Online-Werbung den Briefkasten-Einwürfen in punkto Nervfaktor nahezu den Rang abläuft. Sind Handzettel der Händler zusätzlich foliert, macht sich der Ärger der Kunden oft doppelt Luft: „Jetzt wird auch noch Plastikmüll produziert“. Da ist es naheliegend, dass der Einzel-Handel zunehmend über einen Verzicht auf Handzettel nachdenkt. Wieso nicht generell in Zeiten des Papiermangels nachhaltiger denken und auf den Druck vermeiden? Es gibt ja auch online Möglichkeiten zu werben via App und Social Media. Oder gleich vor Ort mit digitalisierten und tagesaktualisierten Screens. Aber: sind die Handzettel wirklich komplett ersetzbar? Bekommen wirklich die Menschen, die gleichen Informationen? Erreichen Händler die Menschen auf gleiche Weise? Oder gibt es vielleicht doch auch in der heutigen Zeit einen „Mehrwert Handzettel“ für Kunden und Händler?
Tiefenpsychologische Befragungen mit Konsumenten und Shoppern, die wir im rheingold salon durchgeführt haben, liefern gute Gründe, warum der Handzettel eine wertvolle Ergänzung in einer zunehmend digitalisierten Welt bleibt.
Ziel von Werbung und Marketing ist bekanntlich immer, Menschen zu erreichen, zu informieren und letztlich zum Kauf zu bewegen. Auf den ersten Blick scheinen digitalisierte Medien viel mehr Menschen zu erreichen. Auf diversen Plattformen im Bereich Social Media, über Apps der Händler selbst oder vor Ort mit Screens. Der Handzettel als Beilage, als separater Einwurf oder Auslage im Geschäft an der Kasse, wirkt in die Jahre gekommen. Bestenfalls noch für ältere Kunden, die nicht digital affin sind, attraktiv. Aber er ist nicht mehr jung oder modern und letztlich: kann man auf die paar älteren nicht verzichten? Räumen wir mit ein paar Mythen auf und schauen tiefer rein.
Jung versus alt: ein künstlicher Gegensatz.
Beginnen wir mit ein paar Zahlen. 20 – 50 – 80. Was sagt das? Nun, es macht deutlich, dass 50-Jährige altersmäßig genauso weit von 20-Jährigen wie von 80-Jährigen entfernt sind. Mit spätestens 45 Jahren aber gehören die Menschen zur älteren Zielgruppe. In so gut wie jedem Mediaplan. Dabei sind 50-Jährige erstens noch mindestens 30 Jahre Kund:innen mit gar nicht mal so wenig Geld. Genau genommen gehören sie zu den finanzstärksten Gruppen. Und zweitens: sie sind viele. Genau genommen: die meisten. Sie sind drittens digital durchaus affin, wenngleich keine digital Natives so doch auch keine Neandertaler. Sie können Apps laden und sich via Facebook, Instagram & Co. über die Angebote und Produkte informieren. Vielleicht nicht so schnell wie die unter 30-Jährigen, aber meist doch ohne größere Anstrengung. Klar, was gekauft wird und ob Discounter oder gehobener Einzelhandel, das hängt vom Geldbeutel ab. Und der ist bei den Älteren oft sogar etwas besser gefüllt. Wo gekauft wird, hängt außerdem von der Nähe der Einkaufsstätte zum Wohnort oder des Arbeitsplatzes ab. Wie jedoch konkret eingekauft wird, welche Strategien es beim Einkaufen gibt, da gibt es zwischen den Altersgruppen doch einige Ähnlichkeiten: Spontankäufe, schnelle Nachkäufe, geplante Käufe, Wocheneinkäufe, Lustkäufe, das gibt es bei so gut wie jedem.
Alle Kundengruppen KÖNNTEN sich die Apps der Händler herunterladen und sich auf Facebook über die wöchentlichen Angebote des nahen Lebensmitteleinzelhandels informieren. Aber de facto tun sie es eher sporadisch. Die Jüngeren, weil sie nicht so gerne so viele Apps auf dem Handy mögen, die sie nicht als wirklich essentiell empfinden. Außerdem nutzen sie online in einem nie dagewesenen Umfang Ad-Blocker: denn Online Werbung „sucks“. Die Älteren schildern in den Befragungen immer wieder, dass sie informiert werden möchten und sich nicht selbst „aktiv“ darum bemühen müssen. Und dieser Aspekt führt uns direkt zu einem konkreten Mehrwert von Handzetteln in der heutigen Zeit.
Informationen in die Hand gelegt.
Was viele Kunden durchaus an Handzetteln schätzen: sie werden informiert und müssen sich die Informationen nicht selbst zusammen suchen. Das klingt banal, ist es aber nicht, denn: Bei nahezu allen digitalen Werbekanälen müssen Kunden Apps herunterladen, Händlern oder Unternehmen folgen, aktiv eine Anzeige anklicken, um mehr Informationen zu erhalten. Unternehmen gehen dabei nicht selten von viel zu vielen Voraussetzungen aus. Dass Kunden ihre Aktivitäten mitbekommen, dass sie an vorherige Informationen anknüpfen können, dass sie bereit sind viel Zeit zu investieren. Viele setzen auch voraus, dass es eine hohe Bereitschaft bei Kunden gibt, sich in Teilen recht komplexen und nutzerunfreundlichen Online-Oberflächen zu bewegen.
Da ist der Handzettel zugänglicher. Es braucht wenig Eigeninitiative, keine Voraussetzung, Vorabinformationen oder generelles Wissen über Unternehmen oder Händler. Von der Lesefähigkeit einmal abgesehen, die aber auch digital noch weitestgehend erforderlich ist. Auch wenn die Menschen natürlich einen Handzettel ebenso aus dem Briefkasten holen, zu Hand nehmen müssen und aufschlagen, so schildern sie doch, dass hier etwas für sie aufbereitet wurde. Ihnen präsentiert wird und das empfinden sie durchaus als Serviceleistung.
Handzettel sind haptische Vorfreude
Über die Zeitungsbeilage oder den Einwurf quasi frei Haus direkt in die Hand schafft für viele einen Entspannungsmoment. Während der Lebensmitteleinkauf durchaus manchmal als Stress empfunden wird, kann das Durchblättern während der wöchentlichen (Zeitungs-)Lektüre oder des morgendlichen Frühstücks (auch wenn keine Zeitung gekauft wurde oder abonniert ist) einen angenehmen Gegenpol darstellen, der nicht selten Vorfreude auslöst. Was möchte man sich endlich mal wieder gönnen? Vielleicht wird man auch an ein länger nicht benutztes aber alt geliebtes Produkt erinnert, oder auf eine komplett neue Sorte aufmerksam? Viele Menschen geraten beim Lesen der Handzettel ins Schwelgen.
Dazu trägt auch die Haptik des Materials bei. Das Anfassen des Papiers und der dazugehörige sinnliche Ein-Druck schaffen nicht selten eine Vorfreude auf den Genuss des ein oder anderen Produkts. Mit einem Handzettel wird mehr als ein menschlicher Sinn angesprochen: Der visuelle und der Tastsinn. Und genau hierdurch ist es ein kleiner Schritt in Richtung Stimulation des Geschmacks-Sinns.
Handzettel sind Planungshelfer und steuern Kontrollverlust entgegen.
Die Aufbereitung von Produkten, Preisen und Marken schafft nicht nur eine Übersicht, die sich vom Scrollen in den Apps oder von Werbung auf Social Media klar unterscheidet, sondern lädt auch zum Planen und Überlegen ein: Was kann beim nächsten Einkauf gespart werden, was kann man vielleicht endlich dank eines Special Offers einmal ausprobieren? Auch die Sorge während des Einkaufens die Kontrolle zu verlieren, weil man einfach planlos einkauft, sich hinreißen lässt, viel zu viel zu kaufen, kann in Teilen durch Handzettel gedämmt werden. Gerade die Begrenzung fällt bei der Online-Werbung im Netz nämlich eher schwer: hier gibt es immer noch mehr Optionen und selten einen begrenzenden Überblick. Für viele Menschen schafft der DIN A 4 Handzettel eine ausgewogene Möglichkeit, sich einerseits eine gute und große Auswahl vor Augen zu führen, sich ebenso auf etwas Besonderes oder ein gutes Angebot zu freuen und sich gleichzeitig in vernünftiger Weise zu begrenzen.
Handzettel sind Einkaufszettel
Einmal in der Hand nutzen viele Kund:innen das Gedruckte gleich als Einkaufszettel. Auch in diesem Sinne kann der Handzettel, der Planung dienen: Es wird ausgeschnitten, mitgenommen, angekreuzt. Gerade bei geplanten & größeren Einkäufen, haben die Menschen immer noch einen klassischen Einkaufszettel kombiniert durch die Handzettel. Auch die Jüngeren. Klar, das wäre digital möglich und dennoch: Laut Statista schreiben 35 Prozent fast immer einen Einkaufszettel, 32 Prozent häufig, 19 Prozent gelegentlich. Für insgesamt 86 Prozent der Menschen ist der Zettel also noch relevant. Dieser Mehrwert der Handzettel für die Kunden ist auch ein Mehrwert für die Händler.
Handzettel sind „Laufzettel“
Händler locken, ja führen mit dem zur Verfügung gestellten Einkaufszettel direkt in ihre Filiale. Ganz konkret, und ohne Umwege. Ein nicht zu unterschätzender differenzierender Faktor gegenüber digitalen Werbeformen. Denn: nur Bestands- oder Stammkunden nutzen in der Regel die App eines Händlers. Um auf Social Media regelmäßig Angebote, Preise oder Informationen über den Händler vor Ort zu erhalten, muss man ihm folgen. Menschen, die den jeweiligen Händler noch nicht kennen, haben wenig Chancen, auf den stationären Handel um die Ecke aufmerksam zu werden. Bei Neu- und Wettbewerbskunden kann durch Handzettel durchaus Aufmerksamkeit generiert und zu einem Wechsel animiert werden. Aber auch Bestands- und Stammkunden nehmen die Druckinformationen nicht selten zum Anlass, den Einkauf zu ergänzen, also den für den Handel attraktiven Bon zu erhöhen. Sie treffen die Entscheidung erneut, genau diesen Händler und keinen anderen aufzusuchen.
Fazit
Durch „Druck“ entsteht durchaus Ein-Druck. Handzettel fördern auch heute noch die Kaufentscheidung und befördern nicht selten mehr und neue Produkte direkt zum Kunden. Sie schaffen ergänzende und durchaus positiv-sinnliche Werbeerlebnisse, die außerdem als Serviceleistung verstanden und genutzt werden. Zur Neu- und Wettbewerbsgewinnung sind sie ein immer noch sehr gutes Mittel. In Ergänzung zum üblichen digitalisierten Werbeprozess können die besten Ergebnisse erzielt werden. Handzettel sollte der Handel noch nicht ad acta legen.