Wie der Vatikan sich mit Negativ-Werbung in Szene setzt – und was man über vom Vatikan über die Werbewirkung lernen kann

Wenn die ‚frohe Botschaft‘ einer 2000 Jahre alten Marke etwas in die Jahre gekommen ist, dann inszeniert sie einen Skandal. Damit hat sie eine aufmerksamkeitsstarke Story – ein erster Baustein für eine wirksame Werbekampagne. Durch die gekonnte Platzierung von Indiskretionen, gelingt als nächstes ‚Guerilla-Marketing‘ vom feinsten: Kleinstes Werbebudget, internationale Medienresonanz. Aber der Maulwurf kann nicht nur Marketing von ‚unten‘ – er leitet  einen Imagewandel für die Marke ein: Jahrhundertealte Strukturen scheinen veränderbar. Nicht mehr alle, die als unfehlbar galten, haben das ewige Leben im Vatikan gepachtet. Das Schicksal des Heiligen Stuhls wird von Maulwürfen und Raben mitbestimmt. Das ist für die Marke Vatikan, deren wichtigste PR-Story es bisher war, allein von Gottes Gnade abhängig zu sein, schon eine ordentliche Veränderung – mit großer Öffentlichkeitswirkung.

Wäre die Media-Planung noch besser durchdacht gewesen – entkoppelt von der EM – so könnte die Maulwurf-Story auch ihre subtilen, durchaus positiven Botschaften entfalten:

  1. Der Vertreter Gottes auf Erden menschelt – aus dem harten Inquisitor wird der sanfte, fast machtlose Diener Gottes, dessen Privatgemächer im Stern abgebildet sind. Er ist nicht mehr nur unfehlbar, sondern wird nahbar. Menschen wollen heute Privates von ihren Vorbildern wissen und Ähnlichkeiten entdecken, um sich identifizieren zu können. Daher ist es ein probates Mittel, den Unternehmer selbst als Mensch auftreten zu lassen, um Person wie Marke sympathischer zu machen. Das haben erfolgreich auch schon andere Marken.

  2. Die Marke Vatikan ‚verjüngert‘ sich – um Jünger(e)-Zielgruppen zu werben ist es sinnvoll, wenn die Marke auch durch Männer vor dem Inkontinenzalter repräsentiert wird. Wie einflussreich die Rolle des Kammerdieners bei der Wiederbelebung des Vatikans ist, zeigt die schnelle Etablierung der Marke im Bereich Social Media durch Vati-leaks.

  3. Als Testimonial, einen ‚Kammerdiener‘ zu ‚wählen‘, ist psychologisch tiefgründig und medientauglich. Die Phantasien zum Kammerdiener sind mindestens sinnlicher oder doch sehr privater Natur. Ohne so anstößig zu werden wie im Pädophilieskandal wird vermittelt: das Leben im Vatikan ist gar nicht so asketisch und unsinnlich. Hier ging der Marke der kommunizierte Imagewandel aber offenbar doch zu weit – der Kammerdiener soll zukünftig nicht mehr als Werbeträger für den Vatikan fungieren.

Wenn eine 2000 Jahre alte Marke eine Werbekampagne startet, dann greift sie die Dramen des Lebens auf – und liefert gewollt oder ungewollt ein kleines Lehrstück für die Werbung.


Eine Handelsblatt-Kolumne von Ines Imdahl
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