Der Preis der Freiheit

von Ines Imdahl

kultur & gesellschaft, veröffentlichungen

Der Preis der Freiheit

von Ines Imdahl

Wie frei will Deutschland sein?

Das Thema Freiheit ist vor dem Hintergrund der aktuellen weltpolitischen Entwicklungen so aktuell wie nie. Welche Bedeutung hat die Freiheit für die Menschen heute in Deutschland, das als eines der freiesten Länder der ganzen Welt gilt? Ist gerade vor der Bundestagswahl das Thema Freiheit nur noch ein Schlagwort? Was verstehen die Menschen heute darunter? Welche Bereiche sind ihnen beim Thema Freiheit wichtig? Welches Verhältnis haben Sicherheit und Freiheit? Und welche persönlichen Freiheitsgrade sind wichtig?

In einer bisher einzigartigen Studie, bestehend aus einer tiefenpsychologischen und statistisch-repräsentativen Befragung, hat der rheingold salon im Auftrag der Direktbank Barclaycard Deutschland (heute Barclays) zunächst 44 Personen in zwei- bis vierstündigen Tiefeninterviews bzw. Gruppendiskussionen „auf die Couch gelegt“. Ein Freiheits-Wahl-O-Mat wurde entwickelt, und die Ergebnisse wurden repräsentativ bei mehr als 1.000 Frauen und Männern überprüft.

Die Ergebnisse: Deutsche fühlen sich frei – zu frei, denn Freiheit macht ihnen Angst. Sie sind bereit‚ ihre ‘große Freiheit’ wie Wahlfreiheit gegen die kleine, persönliche zu tauschen. Ein nicht gering Teil würde seine Freiheit auch verkaufen. Männer eher als Frauen. Der Preis liegt zwischen 1.000.000 und 10.000.000 Euro. Dennoch ist ihnen am Ende die Freiheit wichtiger als die Sicherheit.

Die Kernergebnisse der Studie:

1. Die Deutschen fühlen sich frei – zu frei.

  • Männer fühlen sich freier als Frauen. Nur 2,9 % der Befragten glauben, dass Frauen freier sind als Männer
  • 54,7 % sind der Meinung, dass in Deutschland zu wenig Grenzen gesetzt werden
  • 77 % der Deutschen wünschen sich eine stärkere Durchsetzung der Gesetze

Die Deutschen fühlen sich generell frei. Gerade auch im Vergleich zu anderen Ländern rekurrieren sie vor allem darauf, dass man sich frei bewegen und frei denken kann. Am freiesten fühlen sich dabei die älteren Menschen in Rente. Während hier 86 % von Freiheit sprechen, sind es bei den 30-45-Jährigen nur rund 62 %. Männer fühlen sich mit 73 % viel freier als Frauen mit nur 64 %. Nur 2,9 % der Menschen glauben, dass Frauen freier sind als Männer.

Blickt man weiter hinter die Kulissen, dann erfährt man sehr schnell, dass ein Zuviel an Freiheit den Menschen Angst macht. Sie wünschen sich Grenzen, Gesetze und Regeln. Grenzenlosigkeit gefährdet die Freiheit.
Wenn alles toleriert wird und auf alles Rücksicht genommen wird, dann zahlt man am Ende mit der Freiheit. Oder anders formuliert: Nach ganz frei kommt sehr schnell ‘unfrei’.

„Also mal ehrlich, da braucht nur jemand zu kommen und fühlt sich als Veganer angegriffen, wenn in einem Kinderlied ‚Fuchs Du hast die Gans gestohlen‘ vorkommt – da sind wir einfach zu tolerant“, so ein Teilnehmer der Studie.

Entsprechend wünschen sich mehr als 77 % der Deutschen eine strengere Durchsetzung von Gesetzen, knapp 55 % denken, dass es in Deutschland generell zu wenig Grenzen gibt.

Die bestehenden Regeln und Gesetze erscheinen den Deutschen darüber hinaus als viel zu dehnbar und nicht unumstößlich genug. Das heißt aber:
Die Limitationen und Regeln müssen nicht in jeder Hinsicht sinnvoll sein. Sie dürfen sogar willkürlich sein. Entscheidend ist, dass sie unumstößlich sind.

„Man darf nicht für alles und jedes Verständnis haben, das widerspricht am Ende der Demokratie – es muss feste Regeln in der Demokratie geben“, so ein Zitat aus den Befragungen.

Um die Freiheit zu erhalten, braucht es paradoxerweise Intoleranz, Grenzen und feste Regeln. Oder: Intolerant fühlen wir uns in der Freiheit pudelwohl.

Insgesamt finden mehr als die Hälfte der Befragten, dass zu viel Rücksicht auf Ausländer, Zuwanderer und Gewalttäter genommen wird. Knapp 50 % sehen das auch bei Andersgläubigen – also Nicht-Christen – so. Selbst auf die Bedürftigen der Gesellschaft wird in den Augen der Menschen bereits jetzt zu viel Rücksicht genommen: Rund 15 % denken das jeweils bei Behinderten, Alleinerziehenden, sexuellen Minderheiten, Obdachlosen.

2. Suche kleine Freiheit, biete große Freiheit

  • Knapp ein Viertel aller Befragten (23,4 %) wäre bereit, gegen die Zahlung von 10 Million Euro auf ihr Wahlrecht vollständig zu verzichten
  • Während nur 5,2 % bereit wären, den Partner für eine Million Euro von den Eltern auswählen zu lassen, sind 16,2 % für den gleichen Preis bereit, auf ihr Wahlrecht vollständig zu verzichten 

In den Befragungen zeigte sich, dass die Menschen Freiheit nicht als Allgemeingut, sondern als ein sehr persönliches Gut sehen. Es wird stark differenziert zwischen den großen, allgemeinen Freiheiten wie Wahlfreiheit, Demokratie- oder Pressefreiheit und den eigenen, kleinen, persönlichen Freiheiten wie der freien Partnerwahl, Bekleidungsfreiheit oder der Meinungsfreiheit im privaten Kreis.

Erst hier wird es für die Menschen wirklich bedeutsam. Sie sind nicht bereit, Einschränkungen auf der persönlichen Ebene in Kauf zu nehmen. Mehr noch:
Sie sind sogar bereit, Freiheiten anderer einzuschränken, wenn ihnen dadurch selbst solche Einschränkungen erspart bleiben.

So sind knapp 40 % der Befragten der Meinung, dass Pressefreiheit nicht so wichtig ist wie die eigene, persönliche Sicherheit. Man gibt sich als Verfechter der Presse- und Meinungsfreiheit. Wenn das aber in der Konsequenz bedeutet, sich persönlich beschränken zu müssen, dann sieht man lieber die Presse zensiert.

So bedeutet zum Beispiel die Möglichkeit, günstige Mode bei großen, internationalen Textilketten kaufen zu können, Freiheit und ist wichtiger als die Freiheit von produzierenden Kindern in anderen Ländern. Darüber hinaus fanden es die Befragten durchaus in Ordnung, dass sie selbst geringere Beiträge bei Krankenkassen oder Versicherungen zahlen als Dicke, Raucher oder ungesund Lebende. Dies erschien ihnen gerechter als eine solidarische und demokratische Umverteilung.

Sehr schnell wurde in den Interviews klar, dass die Menschen Freiheit stark in zwei Bereiche teilen – die eigene, persönliche „kleine Freiheit“ und die „große Freiheit“.

3. Der Preis der Freiheit – ein „Deal“ auf Kosten anderer

  • Nahezu jeder Vierte (22,2 %) würde es in Kauf nehmen, dass andere sich einschränken müssen, um selbst frei zu sein
  • 54 % sind der Auffassung, dass Freiheit nicht umsonst zu haben ist

Frei nach der Trump‘schen Maxime wird Freiheit wie ein „Deal“ behandelt. Letztlich ist Freiheit für die Menschen immer auch ein Geschäft, für das man einen Preis bezahlen muss. Freiheit ist nicht umsonst zu haben – das finden 54 % aller Befragten. Sie verlangt Sicherheit als Basis, um sich frei zu fühlen, wie zum Beispiel Kontrollen am Flughafen oder verstärkte Videoüberwachung.

Selber möglichst günstig shoppen geht nur auf Kosten der Umwelt in anderen Ländern oder zu Lasten von Kindern.

Man selbst möchte am liebsten immer ‚preisgünstig‘ davon kommen – die Einschränkungen/ den Preis sollen aber die Anderen zahlen. Das zeigen auch diese Zitate aus der qualitativen Befragung:

„Formulieren wir es mal so: Wenn ich sicherstellen könnte, dass meine Kinder sich frei bewegen können und reisen und der Preis wäre, dass ich für immer zu Hause bleiben müsste, dann würde ich das tun.“

In einem Befragungsexperiment in den tiefenpsychologischen Interviews konnte klar aufgezeigt werden, wie weit die Menschen gehen würden. Auf die Frage, wen die Leipziger/ Kölner/ Hamburger für ihre eigene Freiheit wegsperren würden, ließ sich ein immer gleiches Muster erkennen:

Die Bayern? Ja.
Die restlichen Deutschen? Ja.
Bestimmte religiöse Gruppen? Ja.
Erst bei den Leipzigern/ Hamburgern/ Kölnern selbst war Schluss.

Und die Allermeisten haben das gleiche Prinzip nicht einmal bemerkt. Die Menschen denken nur kurzfristig an ihren eigenen Vorteil. „Freiheit beginnt da, wo ich die Freiheit der Anderen einschränke“ lautet scheinbar der neue Freiheitsimperativ. Entsprechend nehmen 62 % der bis 30-Jährigen in Kauf, dass Kinder in Entwicklungsländern den Preis für ihre günstige Kleidung zahlen.

Dass Freiheit nicht umsonst zu haben ist und jemand den Preis zahlen muss, finden 54 % aller Befragten und 57 % der Männer.

Dennoch: Der Sicherheit opfern die Menschen die Freiheit nicht. 96,4 % finden Freiheit wichtig. Die Sicherheit kommt mit 95 % auf einen geringfügig geringeren Wert.

4. Freiheit braucht Gemeinschaft

  • 79,6 % halten Freunde für einen entscheidenden Aspekt der gefühlten Freiheit
  • Im Vergleich werden Staat (37 %) oder Kirche (20,3 %) nicht unbedingt als freiheitserweiternd wahrgenommen

Die Menschen brauchen Freunde, Liebe und Gemeinschaft, um Freiheit überhaupt empfinden zu können. Auf die Frage, welche Aspekte die Freiheit fördern, wurden Freunde (79,6 %), Familie (70,6 %) und der eigene Partner (67,4 %) am häufigsten genannt. Die enge Bindung zu sozialen Kontakten gibt Sicherheit in der als unsicher wahrgenommenen Welt. „Ganz frei heißt auch, dass man ganz allein ist, das will man nicht, man will dazu gehören und beliebt sein“, beschreibt es ein Proband aus der Studie. Im Gegensatz dazu werden Kirche, Staat oder auch der Job eher als Kontroll-Instanzen und Freiheitsbegrenzer wahrgenommen.

Freiheit wird auch an ihren Feindbildern spürbar und wenn man sie gegen vermeintliche Feinde verteidigen muss: Muslime, Flüchtlinge, Machthaber, „Diktatoren“ anderer Staaten. Gerade in der Abgrenzung von Feindbildern kann eine Art Schutzwall gegen die Feinde der eigenen Freiheit errichtet werden: „Wir haben mehr Freiheiten, Reisemöglichkeiten, freie Kleiderwahl als andere“, so ein Teilnehmer der Studie.

Aus psychologischer Sicht ist auch die Idee von Trumps Mauer eine Freiheitsmauer. Fast alle Befragten errichten im Kopf einen solchen Schutzwall. Viele wünschen sich in der konkreten Situation auch eine echte Mauer gegen ‚Feinde‘ (Flüchtlinge) – insbesondere in Bayern.

Allerdings ist diese Mauer in den Köpfen von magischer Natur, sie ist quasi semipermeabel. Sie schirmt ab, ohne die eigenen Reise- oder Bewegungsmöglichkeiten einzuschränken.

Die Menschen müssen ihre Freiheit gegenüber Feinden abgrenzen – sie können grenzenlose Freiheit nicht ertragen. Gleichzeitig brauchen sie Freunde, Liebe und Gemeinschaft, um Freiheit überhaupt empfinden zu können.

Oder wie ein Befragter es formuliert: „Auf Facebook, da sage ich nicht immer, was ich denke, weil ich einfach nicht so viele Freunde verlieren will – man will schon Harmonie, um sich frei zu fühlen.“

5. Die Gedanken sind grenzenlos frei – wirklich?

Sich gedanklich völlig frei zu machen von Zwängen, mit gutem Gewissen nichts tun fällt vielen Menschen schwer. Sie fühlen sich fast immer getrieben. Dennoch ist die Sehnsucht groß, völlig zweckfrei, versunken, „faul“ sein zu wollen. „Ich schlafe halt gern, aber das darf man ja nicht zugeben“, so ein Teilnehmer der Studie. Hier wird deutlich, welches Problem die Menschen in Deutschland heute mit der Freiheit haben. Nichtstun erscheint schnell als bedrohlich, unproduktiv, ist Anlass für ein schlechtes Gewissen. Auch im Kopf sind die Menschen kaum jemals wirklich frei.

Für fast alle Menschen ist die Kindheit das Ideal der Freiheit: völlig versunken im Spiel Raum und Zeit vergessen, innerhalb eines festen Rahmens, den die Eltern vorgeben (Zeit des zu Hause Seins etc.) und aufgehoben in einer liebenden Gemeinschaft.
Über die Grenzen der Freiheit, die Feinde und Freunde musste sich keine Gedanken gemacht werden. Sie wurden ‚willkürlich‘ von den Eltern gesetzt. Damit erfüllt die Kindheit die wichtigsten Kriterien der Freiheit:
Klare Regeln und ‚willkürliche‘ Einschränkungen, Aufgehoben-Sein in der Gemeinschaft sowie komplette Versunkenheit und gedanklich phantasievolle Freiheit.

6. Der Freiheitswahlomat

Über 1.000 Menschen haben schließlich gewählt, welche Freiheiten ihnen wichtig sind:

Wenn unter verschiedenen Freiheiten nur eine einzige Freiheit ausgewählt werden dürfte, wählten nur 1,2 % der Befragten die Wahlfreiheit als wichtigste Freiheit und nur 1,6 % die Pressefreiheit. Presse- und Wahlfreiheit werden bei genauer Betrachtung den persönlichen Freiheiten geopfert. Persönliche Freiheiten wie die freie Partnerwahl sind den Menschen wichtiger. Aber auch die anscheinend wichtigste Meinungs-Freiheit ist ‚käuflich‘. Mit Hilfe des Freiheits-Wahl-O-Maten wurden die Teilnehmer befragt, für welche Summe sie sich welche Freiheit abkaufen lassen würden. Die Ergebnisse zeigen, dass ‘Freiheit’ durchaus auch käuflich ist. So sind rund 34 % bereit, für 10 Millionen Euro auch die Meinungsfreiheit zu verkaufen, solange sie im Privaten noch ihre Meinung sagen dürfen.

Andere Freiheiten werden noch schneller und eher verkauft. Das Wahlrecht würden knapp 24 % für 10 Millionen Euro komplett verkaufen – wenn sie noch ein letztes Mal wählen dürften sogar 32 %.

Die Partnerwahl lassen sich vor allem die Männer abkaufen, wenn sie vorher einen kurzen Blick auf die Partnerin werfen dürften (knapp 20 %). 60% würden sich das Recht auf freie Kleiderwahl schon für 1 Million Euro abkaufen lassen.

Freiheit wird nach Meinung der Menschen durch bestimmte Dinge oder Institutionen besonders begünstigt. Dabei spielen weder Kirche noch Staat oder Gesellschaft ganz allgemein eine Rolle. Insbesondere von jüngeren Menschen werden Familie (82 %) und Freunde (89 %) als die größten Freiheitgeber angesehen.

Jüngere sind bereit, für den Rest des Lebens auf ein Auto (rund 50 %), Ältere eher auf ein Smartphone (rund 51 %) zu verzichten. Das Auto wird vor allem durch die 45 + Generation zum Freiheitsrenner.

Fakten zur Studie

Die Erkenntnisse zum Thema Freiheit sind durch neutrale, produktunabhängige Befragungen zustande gekommen. Sie wurden in keiner Weise durch Produktfragen beeinflusst und dienen auch nicht der produktbezogenen Marktforschung.

  • Im Rahmen der qualitativen Befragung wurden Gruppendiskussionen und Einzel-Tiefeninterviews in Köln, Hamburg, Leipzig und München durchgeführt. Es nahmen 22 Frauen und 22 Männer im Alter von 18 bis 65 Jahren teil. Das theoretisch-wissenschaftliche Fundament beruht auf der Morphologischen Psychologie, entwickelt durch Prof. Wilhelm Salber, Universität zu Köln.
  • Für die repräsentative, quantitative Befragung wurden anschließend mehr als 1.000 Personen im Alter von 18 bis 65 Jahren aus dem Online-Access Panel befragt
  • Die Befragungen wurden in einem Zeitraum von Februar bis Juni 2017 durchgeführt.