Warum Marken die Gemeinschaft stärken können.

von Jens Lönneker

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Warum Marken die Gemeinschaft stärken können.

von Jens Lönneker

Jens Lönneker im Interview mit Cathrin Hegner in der Reihe „Out-of-the-box“ für Seven.One  Entertainment Group. Zum Artikel geht es hier oder lesen Sie ihn im Wortlaut auf unserer Website.

Demokratie leben
„Marken können die Gemeinschaft stärken“

Die Deutschen trauen der Wirtschaft mehr zu als Medien und Politik – mehr Kraft für Veränderungen, mehr Kompetenz und ethisches Handeln. Der Markt- und Medienforscher Jens Lönneker erklärt, wie Marken jetzt das „Wir“-Gefühl der Menschen stärken und sich im politischen Diskurs positionieren können. Von Medien- und Marketingverantwortlichen wünscht sich der Tiefenpsychologe eine neue Kultur des Zuhörens.

Cathrin Hegner: Das Vertrauen in Medien und Politik ist erschüttert. Laut Ihrer Studie hat jeder vierte Deutsche den Glauben an die etablierten Medien verloren, zwei Drittel der Medienkritiker fühlen sich von der Politik allein gelassen. Woran liegt das?

Jens Lönneker: Viele haben das Gefühl, dass sie mit ihren Anliegen und Themen kein Gehör mehr finden und dass die etablierten Medien kaum über ihre Probleme berichten. Im Osten Deutschlands ist dieses Gefühl historisch bedingt noch weiter verbreitet als im Westen – die Menschen fühlen sich fremd im eigenen Land. Die gute Nachricht: Immerhin haben noch 75 Prozent der Deutschen mehr oder weniger großes Vertrauen in das politische System und die Medien. Das Entscheidende ist, dass wir die Menschen wieder zusammenbringen. Wir können es uns auf Dauer nicht leisten, dass jeder Vierte mit dem medialen und politischen Umfeld nicht mehr einverstanden ist.

CH: Warum gelingt es populistischen Parteien, sich in dieser Stimmung als „Kümmerer“ zu positionieren?

JL: Das Gefühl, nicht mehr gehört zu werden, wird von populistischen Parteien aufgefangen. Sie haben sich auf die emotionale Ansprache der Menschen spezialisiert, stehen auf Marktplätzen und Bürgerfesten, hören zu, thematisieren Sorgen und Ängste. Bei der Ansprache jüngerer Wähler über TikTok oder Instagram sind sie den etablierten Parteien weit voraus. Dass dabei oft jenseits von Vernunft und Fakten argumentiert wird, spielt für viele keine Rolle. Sie fühlen sich im bestehenden demokratischen System nicht mehr wohl und fragen sich: Warum nicht über eine grundsätzliche Veränderung nachdenken?

CH: Social Media hat sich zu einem mächtigen politischen Faktor entwickelt. Zählen Meinungen mittlerweile mehr als Fakten?

JL: Da muss ich ein bisschen ausholen: In den westlichen Gesellschaften gab es im Nachklang der großen Aufklärungsbewegung einen Konsens, dass man bei öffentlichen Debatten rational und vernünftig argumentieren muss. Man durfte den politischen Gegner zwar verunglimpfen, aber die Begründung sollte doch vernünftig sein. Mittlerweile hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass menschliche Entscheidungen nicht immer rational sind und der homo oeconomicus ein Trugbild ist. Daran ist meine Profession, die Psychologie, nicht ganz unschuldig. Wir haben gezeigt, dass weniger rationale als emotionale Motive die Treiber von Handlungen sind. Das Empfundene und die Befindlichkeit der Menschen hat in den vergangenen Jahrzehnten viel mehr Stellenwert im öffentlichen Raum erlangt. Die sozialen Medien haben diese Entwicklung aufgegriffen und beschleunigt.

CH: Über Social Media nehmen auch gefühlte Wahrheiten, Fake News und Deep Fakes zunehmend Einfluss auf die politische Debatte.

JL:  Da haben wir die Büchse der Pandora geöffnet. Über die sozialen Medien gelangt auch das, was sich jenseits der Vernunft im persönlichen Erleben abspielt, in die breite Öffentlichkeit. Ein Paradebeispiel für jemanden, der das bis zum Exzess betreibt, ist Donald Trump. Er teilt einfach Dinge, die ihm so erscheinen, aus dem Bauch heraus mit – egal, ob sie wahr sind oder nicht. Damit trifft er das Gefühl seines Publikums. Da kann man mit Fakten gegenhalten, so viel man will – das Gefühl bekommt man nicht mehr aus der Welt. Wir müssen die Sorgen und Ängste der Menschen ernst nehmen und uns fragen, woher diese Gefühle kommen. Und wir müssen ihnen zuhören.

CH: … und damit den Extremen eine weitere Bühne bieten?

JL: Ja, auch wenn es manchmal schmerzt. Man kann nicht einfach über das Problem hinwegsenden. Selbst unter denjenigen, die den etablierten Medien vertrauen, stimmen 42 Prozent der Aussage „Wir fahren Deutschland an die Wand, wenn wir so weitermachen“ zu – das ist schon ein sehr hohes Maß an Unmut gegenüber der bestehenden Politik. Diese Menschen wollen gehört, gesehen und verstanden werden. Das können wir nicht den Vertretern der AfD überlassen.

CH: Für Jüngere, die zunehmend extreme Parteien unterstützen, sind soziale Medien oft die einzige Quelle ihrer politischen Meinungsbildung. Ist die Demokratie in Gefahr?

JL: Viele große Köpfe, darunter der Philosoph und Soziologe Jürgen Habermas, sind der Auffassung, dass die westlichen Demokratien ihre Legitimation nur erhalten können, wenn es Massenmedien gibt, die den Menschen vermitteln, dass sie an der Gesellschaft und am politischen System partizipieren. Sie kuratieren das Weltbild, stellen zusammen und bekommen das Feedback der Rezipienten. Diese kuratierende und vermittelnde Funktion ist in den sozialen Medien nicht mehr gegeben, eine gesellschaftlich vereinigende, systemstabilisierende Meinungsbildung findet nicht statt. Wenn es uns nicht gelingt, mehr Plattformen auch für die unter 30-Jährigen zu schaffen, die das gemeinsame, vereinigende Bild im Blick haben, bekommen wir Schwierigkeiten die Demokratie zu legitimieren.

CH: Medienvielfalt will auch finanziert sein. Die Werbebudgets wandern aber seit Jahren zu den großen internationalen Tech-Plattformen.

JL: Ich bin nicht der einzige, der eine Gefahr darin sieht, dass die großen Technologiekonzerne zunehmend unsere mediale Grundversorgung bestimmen. Es gibt eine Reihe von Initiativen aus der werbungtreibenden Wirtschaft, diesen Einfluss zu einzudämmen. Ich denke, es ist wichtig, die verschiedenen Stakeholder und Player an einen Tisch zu holen und gemeinsam aktiv zu werden. Medienhäuser, Politik und Werbungtreibende müssen an einem Strang ziehen, wenn der Einfluss von Google, Meta, oder X auf die politische Meinungsbildung begrenzt werden soll.

CH: Daneben gibt es noch das alte Marketinggesetz „Money follows eyeballs“. Sollte es jetzt einer verantwortungsvollen Mediaplanung weichen?

JL: Natürlich müssen Werbungtreibende dorthin, wo sie die Menschen erreichen. Ich denke, alle sollten jetzt gemeinsam daran arbeiten, dass die Rahmenbedingungen demokratiefreundlicher werden. Es gibt ja im Grundgesetz den immer mal wieder zitierten Satz „Eigentum verpflichtet“. Sein Gebrauch soll auch dem Wohl der Allgemeinheit dienen. Das bedeutet, dass es eine grundsätzliche staatsbürgerliche Pflicht gibt, zu schauen, was man mit seinen Mitteln und seinem Einfluss macht.

CH: Medienunternehmen und Wirtschaft engagieren sich bereits mit diversen Aktionen wie „Geh wählen!“, „Use the News“, „Made in Germany – Made by Vielfalt“, Initiative 18 oder dem Nachhaltigkeitspakt für Meinungsfreiheit und Medienvielfalt. Was können sie noch tun?

JL: Es ist gut, dass gerade so viel passiert. Jetzt muss man dem Ganzen etwas Raum und Zeit lassen. Die AfD hat TikTok auch nicht an einem Tag erobert. Wir werden sehen, welche konkreten Inhalte und Formate den Initiativen folgen. Das Bekenntnis, dass man es gerne anders hätte, bedeutet ja nicht unbedingt, dass es anders gemacht wird. Auf dem Weg dahin sind noch viele Suchbewegungen und vor allem Kreativität erforderlich.

CH: Der Wirtschaft wird noch eher vertraut als der Regierung und den Medien. Was können Marken denn konkret bewegen?

JL: Marken haben die Möglichkeit und die Kraft, Veränderungen in der Gesellschaft aufzugreifen, zu kommentieren, abzumildern oder zu fördern. Bislang lag der Fokus in der Markenführung auf der Frage, wie man sich differenzieren und eine einzigartige Positionierung schaffen kann. Wir denken, dass Marken heute viel stärker das verbindende Momentum in der Gesellschaft in den Vordergrund rücken sollten, und beraten unsere Kunden dahingehend. Marken können Gemeinsamkeiten betonen und die Gemeinschaft stärken. Sie können über gesellschaftliche Realitäten hinweg Brücken schlagen.

CH: Können Sie konkrete Beispiele nennen?

JL: Einige Marken sind damit bereits sehr erfolgreich. Die Telekom, die sich seit Jahren gegen Hass und Hetze im Netz einsetzt, hat die Gemeinschaft sogar in ihren Claim „Erleben, was verbindet“ integriert. Das gemeinsame Begehren einer Marke wie BMW, Mercedes oder Apple kann genauso Verbindendes schaffen wie die gemeinsame Schnäppchenjagd beim Discounter. Der Perspektivwechsel ist das Entscheidende: Marken sollten jetzt das Verbindende stärker betonen als das Trennende.

CH: Einige beziehen auch klar Position im politischen Diskurs, wie Edeka mit der Kampagne „Warum bei Edeka Blau nicht zur Wahl steht“.

JL:  Es verlangt einigen Mut, sich eindeutig zu positionieren und zu kommunizieren: „Bis hierhin und nicht weiter“. Ich denke, alle Marken sind jetzt gut beraten, zumindest eine Grundhaltung pro Demokratie zu entwickeln, ohne dabei in die Beliebigkeit abzurutschen.

CH: Markenexperten warnen schon vor einer „Haltungsinflation“. Wie kann man das Abrutschen in die Beliebigkeit denn verhindern?

JL: Es bringt nichts, wenn alle gleichzeitig sagen „Ich bin für Demokratie“ – Haltung darf keine hohle Phrase sein. Auch die Werbungtreibenden müssen den Menschen zuhören, wissen was sie wirklich bewegt und sie dort abholen. Dabei kann die Forschung sie unterstützen.

CH: Auch die Forschung muss sich immer öfter gegen Hörensagen und Halbwissen wehren. Nicht selten werden die Ergebnisse seriöser Arbeit mit einer Meinung weggewischt. Wie gehen Sie bei rheingold salon damit um?

JL: Ich bemühe mich, die Menschen dort abzuholen, wo sie in ihrem Empfinden stehen und nicht einfach mit Fakten drüberzubrettern. Das ist leider das Dilemma: Wissenschaft und Forschung wurden lange genutzt wie eine Ersatzreligion. Wir haben Forschungsergebnisse wie einen Katechismus vor uns hergetragen, an den man glauben muss. Heute wissen wir, dass auch wissenschaftliche Ergebnisse einen gewissen Zeitwert haben, modifiziert, anders aufgefasst und verbessert werden können. Wir sollten Forschung als einen klugen und beachtenswerten Zugang zur Wirklichkeit verstehen und nicht als das Einzige, was zählt.