Das älteste Gewerbe der Welt

von Ines Imdahl

Das älteste Gewerbe der Welt - oder: warum man nicht nicht werben kann

kultur & gesellschaft, Unkategorisiert, veröffentlichungen, werbung & kommunikation

Das älteste Gewerbe der Welt

von Ines Imdahl

Oder: man kann nicht nicht werben…

Dass die kommerzielle Werbung ein Ziel hat, lässt sich nicht leugnen. Sie will uns überzeugen, von einem Produkt, einer Marke, einem Kauf oder auch einer Handlung. Vom Blutspenden zum Beispiel oder davon, die öffentlichen Verkehrsmittel zu benutzen. Tatsächlich ist es nicht immer ein Kauf, auf den die Werbung hinaus will. Und da wird auch deutlich, dass wir es auch tun, das Werben. Aus psychologischer Sicht beschränkt Werbung sich nicht auf den kommerziellen Bereich. Werben ist vielmehr Grundbestandteil unseres Tuns und der menschlichen Kommunikation überhaupt. Wir alle werben quasi täglich und stündlich – immer und überall. Wir werben um unsere Partner, unsere Mitarbeiter und Freunde. Nicht nur um sie zu akquirieren als Lebensgefährte oder Kollege, sondern auch mit und um ein lebenslanges Zusammensein, jedes freundliche Wort, kleinere und größere Unterstützungen. Für unsere Meinungen, Positionen, Werte und Weltanschauungen werben wir in jedem Gespräch und mit jedem Satz und sogar mit jeder Geste, jedem Lächeln. Auch das fehlende Lächeln, der zornige Blick kann Werbung sein. Auch negative Werbung ist Werbung.

Unsere Kinder versuchen wir geschickt und nicht selten manipulativ davon zu überzeugen, sich die Zähne zu putzen. Gesunde Zähne als „Kaufanreiz“ für das Zahnputzargument wirken dabei oft viel weniger als die Drohung nicht Pilot werden zu können, wenn das Gebiss frühzeitig herausfällt. Auch unser Haus auf dem Land, unsere Wohnungseinrichtung und der Kleidungsstil – alles Werbung für unsere Art zu leben. Gleichzeitig werben wir dafür, auf eine bestimmte Art wahrgenommen zu werden. Wir möchten, dass andere uns in einem bestimmten Licht sehen, etwas Bestimmtes von uns denken. Das ist echte Imagewerbung. Dabei betreiben wir ständig genau die Art von Manipulation, die wir der kommerziellen Werbung manchmal vorwerfen. Werben ist im eigentlichen, aber durchaus positiven, Sinne der Versuch, zu beeinflussen oder eben auch zu manipulieren.

Entgegen anderslautenden Vermutungen ist also nicht die Prostitution sondern die Werbung das älteste Gewerbe der Welt. Bevor es überhaupt zu einem bezahlten Akt zwischen Menschen kommen kann, muss mindestens einer der beiden, in der Regel der weibliche Part, werblich auf sich aufmerksam machen. Werbemittel sind hier oft High Heels und Hot Pants, vor allem aber das fleischliche ‚Kapital‘. Insbesondere dieses soll den in der Regel männlichen Part in der Weise ‚manipulieren‘, dass ‚gekauft‘ wird. Gott sei Dank zu allermeist nicht die Frau im Ganzen, aber doch den an die Dienstleistung geknüpften Körper für einen begrenzten Zeitraum.

Die Werbung steht am Anfang von so ziemlich allem. Ohne Werbung geht eigentlich nichts. Gerade auch das Liebeswerbenund damit letztlich der Fortbestand der Menschheit gab es schon, bevor wir von kommerzieller Werbung in heutiger Form wussten. Und auch in jedem Ge-Werbe steckt unabhängig vom Alter des jeweiligen immer schon die Aufforderung „werbe“!

Und wenn wir uns anschweigen? Nun, dann gilt die Erkenntnis, die bereits Paul Watzlawick in seiner Kommunikationstheorie darlegt: Man kann nicht nicht kommunizieren. Sie lässt sich mühelos auf die Werbung übertragen. Denn auch wenn wir nichts sagen, werben wir für eine Haltung. Zum Beispiel ist dann Schweigen Gold und Reden nur Silber. Auch eine Marke, die bewusst auf Werbung verzichtet, betreibt eine bestimmte Form der Werbung. Und manchmal gilt sogar für Marken, weniger ist mehr. Insbesondere dann, wenn wir ansonsten das Gefühl haben, durch die Werbung zu sehr „penetriert“ zu werden. Weil sie uns nicht als ganzen Menschen versteht, der wie im Liebeswerben auch umworben werden will, sondern als anonyme Zielgruppe, die möglichst häufig kontaktiert werden muss.

Selbst wenn wir es also wollten, wir können nicht nicht werben. Und das ist auch wirklich gut so. Denn das vermeintlich älteste Gewerbe trägt letztlich wesentlich zum Fortbestand der ganzen Menschheit bei. Nicht nur in physischer Weise. Vielmehr ist die Werbung eine menschliche Kommunikationsform, die unsere gesellschaftlichen Werte, Träume, Mythen und Einstellungen zum Ausdruck bringt und somit letztlich auch unsere Kultur am Leben erhält. Und sie taucht an überraschenden, oftmals unerwarteten Stellen auf: zum Beispiel und vor allem bei uns selbst.

Eine Handelsblatt-Kolumne von Ines Imdahl