Im Nachgang zum ersten Expertenforum der Screenforce in 2024 wurde Jens Lönneker zum Thema „Mediendemokratie und Meinungsfreiheit im Brennpunkt: Wie Marken jetzt Verantwortung übernehmen können“ –interviewt. Hier lesen Sie den Beitrag im Wortlaut. Zur Artikelseite der Screenforce geht es hier.
Wir haben im Nachgang mit Jens Lönneker, Geschäftsführer und Gründer des rheingold salons darüber gesprochen, was die Tiefenpsychologie dazu beitragen kann und wie Marken jetzt kommunizieren sollten, um bei ihren Adressaten zu punkten. Herr Lönneker, die Tiefenpsychologie ist das Fundament Ihrer Arbeit. Bitte erörtern Sie uns doch einmal an einem konkreten Bespiel, was es damit genau auf sich hat.
Jens Lönneker: Die Tiefenpsychologie ermöglicht es, menschliches Verhalten besser zu verstehen. So wünschen sich zum Beispiel sehr viele Menschen, dass die Nachrichten mit positiven Informationen aufmachen. Sie kritisieren, dass die Medien immer das negative Weltgeschehen in den Vordergrund stellen. De facto sind aber alle mir bekannten „Good News“-Versuche daran gescheitert, dass sie dann doch nicht die Reichweite erzielt haben wie klassische Nachrichten. Es gibt also einen Widerspruch zwischen Wunsch und Wirklichkeit – oder zwischen Gesagtem und tatsächlichem Handeln, der nicht so einfach zu verstehen ist.
Und die Tiefenpsychologie kann diese Wiedersprüche erklären?
Ja, tiefenpsychologisch lassen sich solche Widersprüche erklären: Schlechte Nachrichten machen etwa immer wieder deutlich, womit eine Kultur nicht einverstanden ist. Was wird als Regelbruch, als kriminell, als nicht in Ordnung eingestuft? Das interessiert alle, weil wir einerseits selbst gegen Regelbrüche von Kultur und Gesellschaft geschützt werden wollen und weil wir andererseits selbst manchmal Neigungen haben, Regelbrüche zu begehen.
Schlechte Nachrichten vermitteln also: Du wirst beschützt und Du bist nicht allein mit Deinen negativen Impulsen, aber Du hast recht mit Deiner Einschätzung, ihnen nicht nachzugehen. Denn man wird dafür bestraft. Oder wie es einer meiner Interviewpartner einmal formuliert hat: „Es stimmt. Wenn ich morgens nichts über Mord und Totschlag lese, fängt der Tag nicht gut an.“ Vieles davon ist uns nicht bewusst und kann erst mit tiefenpsychologischen Methoden erarbeitet werden. Sicher ist aber, Good News können all das psychologisch nicht leisten.
Politik und Kirche haben als vertrauensbildende Institutionen bei den Menschen an Bedeutung verloren, während – so zeigen ja auch Ihre Forschungsergebnisse – NGOs und Markenunternehmen zum gesellschaftlichen Zusammenhalt beitragen können. Wie kann das in der Praxis aussehen?
Leider haben auch die etablierten Medien an Vertrauen verloren. Jeder Vierte in Deutschland ist inzwischen medienavers und von diesen sagen wiederum rund 80 Prozent, dass sie sich von System und Politik allein gelassen fühlen. Das Edelman Trut Barometer mit weltweit 22.000 Befragten hat für Deutschland auch nach trennenden und vereinenden gesellschaftlichen Kräften gefragt. Während Regierung und Medien mehr trennende Kräfte zugeschrieben werden, ist es für NGOs und die Geschäftswelt genau umgekehrt. Andere Untersuchungen haben sich dann Marken noch einmal genauer angesehen und kommen auf hohe Vertrauens-Scores von 85 Prozent und mehr. Darin liegt für Brand-Verantwortliche eine immense Chance.
Marken als die letzten Hoffnungsträger?
Die gesellschaftlichen Divergenzen und Polarisierungen machen vielen Menschen Sorgen. Sie führen zu Wünschen, wieder mehr Gemeinsamkeiten und mehr Gemeinschaft zu etablieren. Marken tragen dazu jetzt schon bei – sie stellen das in der Regel nur nicht heraus, weil das Marketing über Jahre hinweg darauf trainiert wurde, genau das Gegenteil zu machen: Nämlich die Einzigartigkeit, den USP von Marken herauszustellen, um sie im Wettbewerbsumfeld zu differenzieren. Heute können sie aber für ihre Marke gerade damit punkten, wenn sie verbindende Angebote machen. In diese Richtung beraten wir unsere Kunden.
Marken können nur erfolgreich sein, wenn sie viele Menschen überzeugen. Sie haben also immer schon etwas, was viele Menschen gleich sehen und was sie damit auch verbindet. Es ist das Paradox des Erfolges: Etwas Besonderes zu sein, was zugleich viele Menschen anspricht.
Was raten Sie CMOs?
Heute ist es wichtiger als noch vor einigen Jahren, auch die verbindenden Seiten zu kommunizieren. Wir haben uns die großen erfolgreichen Marken einmal daraufhin angesehen und sind immer wieder auf solche Dimensionen gestoßen. Die Telekom hat dies sogar im Claim „Erleben was verbindet“ integriert. Das Verbindende muss aber gar nicht unbedingt selbst Thema sein. Denn auch in den Begehrlichkeiten können sich Menschen einig sein. Luxury Brands können davon ebenso profitieren wie Automobilmarken wie BMW oder Mercedes. Das gilt auch umgekehrt für die Schnäppchenjagd, die gerade aktuell den Discount sehr begünstigt. Wichtig ist also der Perspektivwechsel: Das Verbindende der Marken mehr in den Vordergrund zu rücken.
Können Marken denn tatsächlich die Werte einer Gesellschaft beeinflussen? Und wenn ja, gilt das für alle Altersklassen und Zielgruppen gleichermaßen?
Ja und nein: Marken verantworten keine gesellschaftlichen Grundströmungen und Grundkonflikte. Aber sie können sie aufgreifen, kommentieren, verstärken, abmildern und behandeln helfen. Denken Sie etwa an die „Geiz ist geil“- Kampagne, die das Empfinden einer Zeit auf den Punkt gebracht hat. Oder aber an Marken wie Ben&Jerry’s, Fritz Cola oder Patagonia und Vaude, die sich stark beim Thema Nachhaltigkeit einsetzen. Jede Marke hat ihr Umfeld und ihre Zielgruppen. Daher ist es natürlich sinnvoll, genauer hinzuschauen, wie die verbindenden Momente der Marken am besten gespielt werden können. Das kann für Dr. Oetker natürlich etwas anderes gelten als für Tesla.
Wenn man sich Werbekampagnen einmal genauer ansieht, fällt auf, dass viele Unternehmen die gleichen Themen aufgreifen: Diversity, Nachhaltigkeit, Body-Positivity, Inklusion. Differenzierung ist so kaum möglich. Wie findet man denn heraus, welche Werte zu einer Marke passen?
Nun, es handelt sich ja dabei auch um zentrale Strömungen unserer Zeit. Da ist es durchaus sinnvoll, wenn Marken das aufgreifen. Sonst werden sie schnell als nicht mehr up-to-date erlebt. Problematisch wird es erst dann, wenn man es dabei belässt und sagt: „Wir sind jetzt nachhaltig.“ Das reicht nicht aus. Die Menschen wollen wissen, wie etwa das Thema Nachhaltigkeit gerade im Umfeld der Marke umgesetzt wird. Welchen Mehrwert hat das für meine Schokolade, für mein Auto, meine Reise? Soll es nur mein Gewissen beruhigen oder hat es auch Konsequenzen für Produkt und Dienstleistung? Der Anspruch muss dabei immer mehr sein als nur zeitgeistig aktuell zu sein: Letztlich muss ein konkreter Mehrwert für den Kunden bestehen.
Abschlussfrage: Wir leben in volatilen Zeiten. Wie wichtig ist es vor diesem Hintergrund für Unternehmen gerade jetzt, ihre Positionierung zu schärfen?
Eigentlich ist die Schärfung der Positionierung eine permanente Aufgabe der Markenführung. Im Moment besteht jedoch eine besondere Situation: Denn die Grundpfeiler des Miteinanders erodieren in den westlichen Gesellschaften. Marken werden plötzlich gefragt, wo sie stehen: „Stellt sich Ihre Marke klar gegen die AFD?“ „Wie können Sie heute noch Winnetou-Bücher herausbringen?“ Oder aber: „Die Winnetou-Bücher sind ein Teil der deutschen Literatur: Daher müssen Sie weiter herausgegeben werden. Die Marken werden also in die gesellschaftlichen Diskussionen hineingezogen und müssen Strategien und Narrative entwickeln, wie sie damit umgehen wollen. Gerade die verbindenden Momente können dabei eine große Rolle spielen.