Warum hamstern die Deutschen Toilettenpapier, die Franzosen lieber Rotwein?

von Ines Imdahl

kultur & gesellschaft, Unkategorisiert, veröffentlichungen

Warum hamstern die Deutschen Toilettenpapier, die Franzosen lieber Rotwein?

von Ines Imdahl

Ines Imdahl zum Hamstern in Corona-Zeiten.

Deutschland und die Welt halten den Atem an. Die Wirtschaft und das Arbeitsleben stehen so gut wie still. Stillstand aber ist ein Zustand, den die Menschen nicht gut aushalten können. Das merken wir alle, gerade jetzt wollen wir raus, etwas tun, arbeiten, produktiv bleiben und aktiv gegen das Gefühl des Ausgeliefert-Seins angehen.

Deutschland ist darüber hinaus eine Kultur, die immer stolz auf ihre Produktionsleistung war: Exportweltmeister, der auch immer wieder tolle, neue Produkte entwickelt und herstellt. Und nun das: Wir produzieren quasi nichts mehr seit Corona. Für die meisten fühlt sich die Untätigkeit, der Stillstand nicht nach entspanntem Müßiggang, sondern wie eine außerordentliche „Produktionslosigkeit“ an.

Worauf besinnt sich das Seelische dann unbewusst?

Auf die ersten Produktionen, die wir als Menschen geleistet haben. Und das ist nun mal – Entschuldigung – das „Scheißen“. Gerade unsere Kleinkinder loben wir intensiv für ihr erstes Geschäft: „Das hast Du toll gemacht“ (=produziert!). Der Ekel vor den eigenen Exkrementen kommt erst viel später und ist kulturell
anerzogen. Kleine Kinder ekeln sich nicht vor ihrem Stuhlgang.
Der Kauf von riesigen Mengen an Toilettenpapier verweist nun auf die verbliebene,
ursprüngliche Produktionsfähigkeit. Je mehr Toilettenpapier jemand kauft, desto mehr
demonstriert er: Seht her, ich produziere immer noch etwas ganz Großes – eben zumindest
ganz große Haufen. Man darf vermuten, dass Menschen umso mehr Toilettenpapier kaufen, je
mehr sie das Gefühl haben, dass ihr Umsatz zum Erliegen gekommen ist.
Nicht in allen Ländern gibt es diesen „deutschen“ Stolz auf die Produktionsleistung in gleicher
Weise. Die Franzosen werden anders tätig: sie wollen lieber vergessen – mit Rotwein – und im
übertragenen Sinne zu Hause aktiver werden – dazu benötigen sie Kondome. Psychoanalytisch
sind das eher orale oder eben phallische kulturelle Fixierungen.

Schickt der französische Präsident nun sein Volk „symbolisch“ zu den Waffen, greifen die
Amerikaner im wahrsten Sinne des Wortes dazu. Für die Amerikaner ist es typisch – im Kampf
gegen das Virus greifen sie zum dem aus ihrer Sicht Naheliegendem: Sie rüsten auf, bewaffnen
sich um ihr Haus und Hof gegen den “ausländischen“ Eindringling, der dieser Virus ja laut Trump
ist, zu verteidigen. Die Deutschen hingegen bekämpfen den Virus eher mit Desinfektionsmitteln.
Glauben sie im „normalen“ Alltag schon, mit Staubsauger und Putzmittel Bakterien und Milben
den Krieg ansagen zu können, so tun sie dies jetzt beim Virus mit allen nur erdenklichen
Desinfektionen in gesteigerte Weise. Denn auch Sagrotan und Co. sind in Supermärkten und
Apotheken ausverkauft. Ein weiterer Versuch, sich gegen das Gefühl des Ausgeliefert-Seins zu
wehren – und aktiv bzw. produktiv zu bleiben.
Darüber hinaus geben Hamsterkäufe den Menschen auf der ganzen Welt ganz allgemein das
Gefühl, etwas tun zu können und nicht nur zuzusehen. Ständige Wiederholungen der Politik,
aber auch der Medien, „keine Hamsterkäufe“ zu tätigen, bewirken eher das Gegenteil: Denn
das Seelische kennt keine Verneinung („Spring nicht“ löst beim Suizid-Gefährdeten oft eher
einen Sprung aus, als dass er ihn hindert). Was die Menschen hören, ist also „Hamsterkäufe“ –
sollen diese verhindert werden, so brauchen sie eine andere Möglichkeit ihre Nöte, aktiv
bearbeiten zu können und zu handeln.