Warum wir vom Corona Virus lernen können…

von Ines Imdahl

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Warum wir vom Corona Virus lernen können…

von Ines Imdahl

…und das kein neues Plädoyer für Krise als Chance ist.

Das Virus hat sich verändert. Es ist mutiert und schneller geworden. Würde man dem Virus eine wie auch immer geartete geheime Intelligenz zusprechen, so könnte man interpretieren: Dass es sich das  „Überleben“  gesichert hat, indem es sich den immer gleichen, unkreativen Maßnahmen zu seiner Bekämpfung angepasst hat. (Ja, ich weiß, dass Viren sich häufig genau in dieser Form verändern…)

Sicher, das ist ein Gedankenspiel. Und natürlich unterstelle ich dem Virus nicht ernsthaft einen Willen. Gleichwohl dieses eine beliebte Möglichkeit ist, sich Schicksalsschläge wie Pandemien zu erklären. Im Mittelalter gern in das Narrativ des damit „strafendenden Gottes“ eingebunden. Heute erfüllt Bill Gates ersatzweise für manche diese Funktion. Für einen zunehmend größeren Teil der Bevölkerung scheint das einfacher zu akzeptieren zu sein, als ein Schicksalsschlag, für den niemand Konkretes die Schuld trägt. Welcher keine Strafe oder ein böser Wille ist – von wem auch immer.

Denn auch die Politik ist nicht Schuld am Virus. Sehr wohl trägt sie aber eine Mitschuld am unkreativen, bummeligen und überbürokratischen Umgang mit der Bekämpfung. Über die Verschleppung von Bestellungen (von Masken, Impfdosen, Tests) bis hin zur schneckentempoartigen Erstellung einer App, von Plänen oder Umstrukturierungen der Gesundheitsämter findet sich bereits genügend Aufregung. (Kann mir bitte einer erklären, wieso Gesundheitsämter am Wochenende zu haben und keine Infektionsketten nachverfolgen können, Politessen aber durch die Stadt laufen?)

Aufgreifen möchte ich viel mehr eine Methode, die weder in Unternehmen, noch bei Marken, noch in der Politik in einer Krise das sinnvolle Mittel ist:

Die Mehr oder Weniger-Methode. 

Je mehr Infizierte, desto mehr Lockdown. Geht der Inzidenzwert unter 50 (alternativ  unter 100/200) oder der R-Wert unter 1, wird wieder ein bisschen gelockert. Dann werden die Schulen teilgeöffnet bis – es ist vorherzusehen –  wieder geschlossen wird, weil die Zahlen wieder gestiegen sind.  

Im „Mehr oder Weniger“ äußern sich auch jenseits von Corona fast alle politische Forderungen: Mehr Radwege, mehr Umweltschutz (JAAA ich bin für beides, das ist aber hier nicht der Punkt) – weniger Autoverkehr. Bricht die Autoindustrie ein, ertönt der Schrei nach mehr staatlicher Unterstützung durch Abwrackprämien o.ä. Parteien unterscheiden sich fast nur noch durch das „Wie viel“: Wie viel Europa, wie viel Umweltschutz? Wie viele Frauen? Das ist ermüdend – und bewegt wenig. Es ist wie beim Lautstärke-Regler – eine Bewegungsrichtung. Entsprechend hört man von manchen Themen manchmal nichts. Und dann wieder ganz viel.

Das Mehr oder Weniger-Prinzip ist nicht verbindend, nicht über Kreuz, nicht spiral- oder kreisförmig, nicht variabel (quer würde auch passen, aber das Wort ist ja blöderweise aktuell für Menschen vorbehalten, die noch verbohrter denken).

Wenn etwas nicht funktioniert, nicht zum Erfolg führt, dann ist es nicht immer gut, einfach das gleiche weiter zu machen. Nur etwas mehr oder weniger davon, strenger oder intensiver. Eine Kampagne, die nicht arbeitet, einfach mehr zu schalten, hilft nicht viel. Ein Unternehmen ohne Aufträge einfach unverändert weiter laufen zu lassen und nur das Personal zu reduzieren? Klingt nicht gut. Unvernünftig und unpsychologisch. Gleichwohl: das war die Hauptpositionierung der allermeisten großen Unternehmensberatungen. Kosten reduzieren, Gewinn steigern. Oder zumindest raus aus den roten Zahlen. Echte Umstrukturierungen sind selten. Und so ist auch bei den Unternehmen oft die Frage: Wie viel Kosten kann ich sparen? Wie viel Diversity muss ich haben? Wie viel Nachhaltigkeit ist nötig?

Zugegeben, viele Unternehmen zeigen sich dieser Tage extrem beweglich, flexibel und kreativ. Diese Geschwindigkeit in Richtung Digitalisierung war vor einem Jahr nicht vorstellbar. Aber viele Unternehmen dürfen ihre Beweglichkeit und Kreativität gar nicht erst ausprobieren. Wie Restaurants, Einzelhändler, Theater, Musikveranstalter, Solo-Selbständige. Sie dürfen nur auf oder zu. Mehr oder Weniger auf. Ihre Kreativität, ihr Veränderungspotential wird ausgebremst. Von allen Seiten.

Wir alle kennen Versuche und Beispiele, die funktionieren könnten. Theater und  religiöse Messen draußen. Tests in Eigenverantwortung. Eigeninitiativer Filtereinbau von Eltern in Schulten, UV-C-Lampen in Bussen und Bahnen, die das Virus killen in Hanau oder Rüsselsheim. Ja, und dann Südkorea. Wo eine App in den offenen!!! Schulen zum tauglichsten Vorsorgeinstrument wurde, Quarantäne gezielt stattfindet und die Zahlen weit unter unseren liegen.  Oder Smudo, der eine App für die Restaurants entwickelt,  die was taugt und die Zettel (Zettel zur Nachverfolgung, kann man es glauben?) überflüssig macht. Oder Australien oder Neuseeland,  beide fast ohne Infektionen. Und selbst good old England. Wo die Monarchie ebenso überlebt hat wie das britische Pfund, und das sich in unendlichen bürokratischen Verhandlungen in punkto Brexit ergossen hat. Selbst dort war man clever genug einige erfahrene Manager einzusetzen, um genügend Impfstoffe zu besorgen. Out the box gedacht. The Bürokratie-Box.

Ich bin nicht für strengere Maßnahmen und schreibe seit Monaten, dass das, was wir jetzt brauchen Zuversicht ist. Diese neue Öffnung schafft bei mir keine. Denn die Rückkehr zum ewigen Lockdown steht schon vor der Tür. Durch diese Öffnung dauert es vielleicht noch länger. So paradox das klingt ich bin also auch nicht für lockerere Maßnahmen. Ich bin für ein anderes Prinzip. Für ein „Anders“.

Freilich, auf Krisen kann man in der Politik, in Unternehmen oder als Marke nicht immer gleich die richtige Antwort haben. Ein Virus wie dieses ist eine große Krise. Man muss ausprobieren. Die erste Idee war nun, die Kontakte zu reduzieren. Und Schließungen. Hat ein bisschen funktioniert und ein bisschen beruhigt. Letztes Jahr. Aber das reicht nicht mehr. (Ha! Nicht mehr!) Wir brauchen Vielfalt, Kreativität und die Freiheit die kreativen Lösungen überall und schnell umsetzen zu können.

In der Psychologie ist übrigens „Immer mehr desselben“ eine Neurose: immer verengter schraubt man nur an einem Knopf. Um da heraus zu kommen, muss es anders werden. Wir müssen den Schalter nicht nur umlegen, wir müssen die Verkabelung neu verbinden.

„Unser Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann.“ So der Spruch auf einem Plakat, das ich mit 13 in meinem Zimmer hatte. Um unser Überleben zu sichern, und das in mehrfacher Hinsicht, müssen auch wir mutieren. Und schneller werden. Das ist Mehr als Mehr oder Weniger. Und auch Mehr als mehr desselben. Es ist anders.  

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