Werbung kennt reife Frauen nicht

von Ines Imdahl

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Werbung kennt reife Frauen nicht

von Ines Imdahl

Frauen ab 50 Jahren gibt es eigentlich nicht. Natürlich existieren sie im realen Leben. Aber als Frauen in Marktforschungsstudien, als Bestandteil der Werbeansprache oder der Media-Planung sind sie kaum erwähnt. Und die Programmplanung so mancher Sender richtet sich ohnehin nur an Menschen bis 49 Jahren – was natürlich auch die Männer mit ausschließt. Wie soll man nun aber Werbung für weibliche Menschen machen, die die Forschung und letztlich damit auch die Werber gar nicht kennen?

Die Neutralisierung des Alters

Ein zentraler Grund für die ‚Unkenntnis’ der Weiblichkeit ist die Neutralisierung des Alters. Denn: Spezifische Frauen- oder Männerstudien beziehen sich fast immer auf die vorangegangenen Lebensjahrzehnte. Ab 50 hingegen werden die Menschen offenbar geschlechtslose Wesen: sie sind Best Ager oder Silver Liner, als Männer oder Frauen tauchen sie hingegen kaum noch auf.
Aber ab 50 Jahren werden nicht nur aus Männern und Frauen neutrale Wesen, zugleich werden nicht selten 50 jährige in einen Topf mit hoch betagten 80jährigen geworfen. Dabei ist der Unterschied zwischen 50 und 80 jährigen mindestens genauso groß wie der Unterschied zwischen 20 und 50 jährigen – niemand käme auf die Idee diese beiden Gruppen zusammen zu fassen!

Das ‚Schönreden’ der Generation 50 +

Über diese nunmehr neutralen Wesen wird gleichzeitig sehr viel geforscht und geschrieben. Niemand wird müde zu betonen, wie interessant diese vermeintliche Zielgruppe der Älteren ist. Sie wird nicht nur in Zukunft immer größer werden, sondern ist bereits jetzt vermögend. Psychologisch ist jedoch gerade diese Überbetonung der Attraktivität auffällig: Wäre diese Zielgruppe wirklich von so großem Interesse für Werber und Marketeers, würde es dann in immer neuen Studien herausgehoben werden müssen? Studien über Jugendlich beispielsweise haben gar nicht erst die Rechtfertigungsnot – sie beschreiben den Charakter, die Probleme und Nöte der Mädchen und Jungen in der heutigen Kultur. Interesse und Attraktivität wird hier nicht angezweifelt, sondern vorausgesetzt. Die Diskussion rund um die ‚attraktive’ Zielgruppe 50+ hingegen erinnert eher an das Klischee des guten Charakters, der vor allem bei eher hässlichen Menschen ständig hervorgehoben wird.
Bisher scheint es, von sehr wenigen Ausnahmen einmal abgesehen, daher auch tatsächlich eine reine Vernunftentscheidung, die vermeintlich attraktive ältere Zielgruppe anzusprechen. Emotionalität oder echte Leidenschaft finden sich im Zusammenhang mit den Älteren kaum. Ebenso wenig ernsthaft oder psychologisch wird sich mit diesen Menschen auseinandergesetzt. Stattdessen werden eher Fakts und langweilige Daten gesammelt, die dann wiederum in neutralen und emotionslosen Berichten zu finden sind. Es wird eine Art geheime Logik in unserer Gesellschaft verfolgt, den Menschen ab 50 Lustvolles, Spaß und Lebensfreude abzusprechen.
Attraktiv, spannend und inspirierend wird aber etwas nur dadurch, dass es lebendig ist und gehalten wird. Dazu reicht es nicht aus, immer mehr und noch genauere Fakts zusammen zu stellen. Vielmehr ist es erforderlich sich den Haltungen, Einstellungen, Problemen, Ängsten, Lüsten und Bedürfnissen, den Lebensläufen und Erinnerungen und vor allem dem konkreten Alltag der Menschen zu widmen. Beinahe jede 20jährige bekommt hierzu inzwischen die Gelegenheit. Für die Generation 50 + ist das Gegenteil der Fall – sie wird nicht anschaulicher und lebendiger durch die vorliegenden Studien, sondern ‚sachlicher, neutraler’: eine riesige undifferenzierte wabernde Masse!

Die Verdeckung des Unangenehmen

Aus psychologischer Sicht dient das vermeintliche Zusammenfassen, Neutralisieren und ‚Schönreden’ der Menschen 50 + dazu, etwas zu kaschieren. Die 50 + zu einer netten, finanzkräftigen am Ende aber zahnlosen Zielgruppe zu erklären, lenkt davon ab, was wir mit dem Älterwerden tatsächlich verbinden. Wir alle tragen ein ‚Bild’ vom Alter mit uns herum, das wir uns nicht so gern vor Augen führen möchten. Dieses Bild ist uns unangenehm und peinlich. Eng an das Alter und das Älterwerden geknüpft ist nämlich der unaufhaltsame Verfall: alt, stinkig, runzelig und unappetitlich. Befragt man die Menschen in Tiefeninterviews so ist – neben dem Zerfall der Äußerlichkeiten und der Sorge um die Gesundheit – eine der häufigsten Ängste, man könnte im Alter anfangen unangenehm zu riechen!

Werbung und Marken als ‚freundliche Samariter’

In den allermeisten Fällen beteiligen sich die Marken und Werbung an dem geheimen Bild des Alters: In dem sie die Attraktivität der Gruppe loben, vermeiden sie eine echte Auseinandersetzung. Gleichzeitig helfen sie die unangenehmen Seiten des Alters zu übertünchen: Sie setzen bei den Angeboten und der dazugehörenden Werbung vor allem auf die zunehmende Hilfsbedürftigkeit, die es zu lindern gilt. Sie positionieren sich als diejenigen, die durch ihr Angebot zu den guten Samaritern werden. Dementsprechend gibt es zwar spezielle Werbung für Ältere, wie z.B. für Inkontinenz- und Impotenzprodukte. Eine solche einseitige Sichtweise jedoch nimmt die Menschen ab 50 + weder ernst noch differenziert wahr. Verkannt wird mit einer solchen nach außen ‚positiv’ wirkenden Haltung vor allem eins: Die Zeit ab 50 ist nicht der Beginn des reinen körperlichen und seelischen Notstandes, sondern vor allem normale Lebenszeit mit den dazugehörigen Freuden und Nöten wie sie eben alle Phasen des Lebens auszeichnen. Die Menschen sind nicht von heute auf morgen dement und müssen ‚betuddelt’ werden. Sie suchen nach wie vor die ernsthafte Auseinandersetzung – auch mit der Werbung. Und, das zeigen unsere Tiefeninterviews deutlich, sie erwarten eine ebenso ernsthaft Auseinandersetzung mit ihnen, jenseits von Klischees und Pauschalisierungen.

Auf Knopfdruck anders?

Lässt man sich also auf derzeitige Betrachtungen ein, dann wären auch die Frauen ab 50 auf einen Schlag anders: Sie kleideten und konsumierten anders, ihre Einstellung änderten sich, sie nähmen Werbung anders wahr und wechselten von nun an die Marke nicht mehr – weil sie nun der großen Gruppe der Älteren angehören. Entsprechend anders müssten sie beworben werden!
Natürlich ist diese Vorstellung absurd. Es ist unmittelbar einleuchtend, dass die Übergänge hier fließender sind und wir uns endlich dazu durchringen müssen, auch die Lebensphasen ab 50 in kleineren zeitlichen Schritten zu betrachten. Gut möglich, dass hier die Dekaden nicht ausreichen, sondern ganz ähnlich wie in allen anderen Lebensaltern auch, wir sogar in 5 Jahresschritten forschen müssen. Derzeit allerdings kann man es drehen und wenden wie man will, ab 50 gehört man heute dazu – zu den Älteren und damit eben eigentlich auch zu den wirklich Alten. Oder andersherum formuliert: Man gehört eigentlich nicht mehr dazu – zu den Männern und den Frauen oder denjenigen bei welchen noch genauer hingeguckt wird. Die Gesellschaft scheint ab 50 einen Cut zu wollen und führt diesen aktiv herbei.

Die allermeisten Menschen verspüren dies und legen viel Wert, darauf die magische Grenze zumindest äußerlich zu schieben: Sie sind stolz jünger auszusehen, jünger zu wirken und ebenso anzukommen. Das hat nicht nur damit zu tun, dass innerhalb der deutschen Demographie, Jugend eine Rarität werden wird. Es hat auch damit zu tun, dass Menschen sich im mit 50 Jahren viel lebendiger und jünger fühlen als sie von vielen gerne gesehen werden. Sie fühlen sich verständlicherweise den 40jährigen ähnlicher als den 70 oder 80 jährigen. Aus psychologischer Sicht sind sie das auch.

Die Tabuiisierung der Erotik

Diese ‚Gleichschaltung’ und Neutralisierung der Älteren macht sie am Ende nicht nur uninteressant und leblos. Als Geschlechtslose sind vor allem auch Liebe und Erotik in diesem Lebensalter ein Tabuthema. Frei nach dem Motto: Eltern oder gar Großeltern haben keinen Sex zu haben. In einer Zeit, wo wir in Bezug auf Sexualität kaum noch Tabus kennen, hat sich heimlich ein neues Tabu eingeschlichen: Von ‚Altensex’ sind wir peinlich berührt und finden ihn ziemlich unappetitlich. Denn Sexualität ist derzeit in einem nie dagewesenen Ausmaß mit Jugend und Makellosigkeit verbunden. Sie ist beinahe von Sinnlichkeit befreit – das heißt sie riecht nicht mehr nach Schweiß und ist auch nicht mehr wirklich dreckig. Sexualität sollte vielmehr vor allem ästhetisch sein – perfekte Körper, wie wir sie aus Zeitschriften und Fernsehen kennen, vereinen sich in einstudierten Posen. Das geht soweit, dass sogar junge Menschen, sich oft ihrer Sexualität schämen, weil sie sich hierzu nicht schön oder perfekt genug fühlen.
Hierin steckt ein weiterer heimliche Sinn der Neutralisierung des Alters: Wir wollen das Alter am liebsten Ent-Erotisieren. Wir wollen uns abgrenzen von den Älteren und auf keinen Fall, dass die Alten uns z.B. in punkto Erotik noch ähnlich sind. Die Älteren sollen sich bitte so verhalten wie wir uns das vorstellen: ohne Sexualleben, sparsam, strenge Moralvorstellungen, gefestigt in ihren Haltungen. Und gleichzeitig wollen es gar nicht genauer wissen, wie das ist mit den Männern und Frauen im Alter. Während heute meist schon 7jährige in der Schule vollständig aufgeklärt werden – möchten wir selbst in Bezug auf Erotik ab 50 am liebsten bei Bienchen und Blümchen Vorstellungen verharren.
Warum sollte sich die ‚Love Generation’ wandeln?
Dabei ist es im Alltag etwas ganz anderes offensichtlich. Die Alten verhalten sich viel lebendiger als sie in Studien es beschreiben und das beklagen vor allem die Jungen. Während sich früher die die Alten über die Jungen aufregten, haben die Älteren heute bei den Jungen für alles Verständnis. Aber die Jungen sind gegenüber den Alten intolerant. Nach Meinung der Kinder wollen die Eltern einfach nicht alt werden, sie sind zu lebenslustig, mutig, konsumfreudig – und das geht ihnen gegen den Strich, denn es stört sie bei ihren eigenen Entwicklungen. Sie wollen sich abgrenzen von ihren Eltern und das geht nun mal besser, wenn die Eltern endlich alt werden.
Aber was haben wir denn eigentlich erwartet? Warum sollte eine Generation, die immer rebelliert hat, sich für Emanzipation eingesetzt hat und sich in ihrer Jugend ‚Make love not war’ auf die Fahnen geschrieben hat, jetzt so moralisch verhalten wie die eigenen Großeltern? Sie tut es nicht, sie rebelliert weiter, genießt ihr Leben und die Liebe – so wie sie es immer getan haben.
Genau diesem Phänomen hat die Werbung Rechnung zu tragen: Sie muss sich jede nachrückende Generation 50 + neu ansehen und beurteilen. So wie sie es bei jeder neuen Generation von Jugendlichen ebenfalls tut. Sie kann und darf nicht sagen, ab 50 Jahren sind die Menschen so und sie damit in ein Klischee pressen. Sie darf die Älteren eben nicht einfach als alt ansprechen.

Werbung für Frauen ab 50 Jahren: Pro-Age statt Anti-Age

Umso erstaunter sind wir, wie sehr uns vermeintlich attraktive Nacktfotos von älteren Frauen – wie in der Dove Pro Age Kampagne zu sehen, berühren. Wir sind hin und her gerissen zwischen der Faszination der Bilder und dem ungewohnten Aufbrechen von Tabus: Alter und Erotik. Wir möchten genau hinsehen und trauen uns doch nicht so recht das in der Öffentlichkeit zu tun – Zeitschriften mit den Pro-Age anzeigen werden eher heimlich betrachtet, damit man sich jedes Details genau ansehen kann.
Die Pro-Age Kampagne von Dove stellt eine Ausnahme dar – sie macht Werbung für reife Frauen – aber nicht nur das, sie richtet sich trotz ihrer Spezifität auch an jüngere Frauen und an Frauen ganz allgemein. Darüber hinaus soll sogar Männer geben, die diese Werbung besonders beachtenswert finden.
Die Pro-Age Kampagene zeigt dabei zunächst vor allem eines:
Gute und für Menschen ‚wertvolle’ Werbung ist gute Werbung – unabhängig davon an wen sie sich altersmäßig richtet. Anders herum formuliert: Eine schlechte Werbung wird durch den Versuch, sich an eine bestimmte Altersgruppe zu wenden nicht besser. Zunächst einmal muß Werbung also ihre ‚Hausaufgaben’ machen – sie muss allgemeingültige Kriterien erfüllen.
Was zeichnet nun wertvolle Werbung aus? Werbung die wirken will muss aus tiefenpsychologischer Sicht auf zwei Ebenen arbeiten:
Eine nacherzählbare, offene ‚Geschichte‘ – Cover Story und gleichzeitig eine geheime, verdeckte ‚Geschichte‘ oder tragende Verfassung – Impact Story. Menschen verspüren diese unterschiedlichen Wirkebenen sehr deutlich – auch wenn sie dies nicht immer so direkt artikulieren können, zeigen sie sich bereits in den ersten Reaktionen auf eine Werbung. „Ich weiß nicht genau, was ich auszusetzen habe, aber irgend etwas stört mich.“ Oder umgekehrt. „Das sind zwar nur alles Klischees, aber es gefällt mir trotzdem gut
Die Funktion der Cover Story ist konkrete Informationen über Produkt und Marke zu liefern, eingepackt in eine nachvollziehbare ‚Geschichte’. Die Cover Story steht idealer weise im Vordergrund des Geschehens und hat eine gewisse psychologische Stringenz – sie muss aber nicht unbedingt ‚sympathisch‘, ‚laut‘ oder ‚aktiv‘ sein. Sie kann in der Regel auch in quantitativen Verfahren abgebildet werden.
Im Falle der Dove Pro-Age Kampagne könnte die Cover Story etwa so zusammengefasst sein: Jetzt gibt es eine neue Pflegeserie von Dove, die besonders für reifere Haut geeignet ist und die Schönheit des Alters unterstreicht.
Die Impact Story ist das Herzstück einer guten Werbung: sie ist das was die Menschen anrührt und bewegt – und letztlich eine Werbung ‚unvergesslich’ macht. Die Impact Story hat verschiedene Aufgaben:1. Sie spricht – meist indirekt – die tiefer liegenden produkt- und markenspezifischen Verwendungsmotive an. 2. Sie transportiert die geheime Logik einer Marke – jenseits von Bekanntheit und Beliebtheit sind das die Charakteristika die man nicht auf den ersten Blick erkennt. Wie bei einem Menschen muss man schon sehr genau hinsehen um zu wissen, was dies für die Marke ist. 3. Sie trifft den Zeitgeist, d.h. die derzeit gesellschaftlich relevanten Themen und Werte werden angesprochen. Diese Werte sind derzeit in Deutschland vor allem das Leben selbst und – man wagt es kaum zu sagen – die Liebe.
Insbesondere diese dritte Ebene der Impact Story greift die Pro-Age Kampagne gut auf. Die Anzeigen rühren uns vor allem deshalb an, weil sie dem Alter eine neue Dimension verleihen: Vor allem die Lebensfreude der Frauen wird vermittelt – trotz ihres ‚Alters’. Älterwerden, so die Botschaft der Werbung, ist nicht nur ein Kampf. Das Alter ist schön – im doppelten Sinne des Wortes. Es ist schön und vor allem ist es lebenswert – und das obwohl oder gerade auch weil eine Frau im Alter nicht ‚vollkommen perfekt’ ist. Aber vielleicht ist eine Frau in diesem Alter souveräner und weiß das Leben ganz anders zu genießen.
Darüber hinaus vermeidet die Kampagne drei typische Fehler der Werbung, die sich die reifen Frauen zum Ziel gesetzt hat: 1. Rücksicht – ältere Frauen sind keine besonders ‚schützenswerten’ oder gar hilfsbedürftigen Wesen. Sie sind vielmehr souveräner und sicherer in dem was sie tun und lassen als manch junge Frau. 2. Entweiblichung: – ältere Frauen sind keine neutralen Wesen. Sie sind auch mit 50 Jahren vor allem und in erster Linie Frauen mit typisch weiblichen Bedürfnissen und sie sind sich ihrer Weiblichkeit bewusst. 3. Enterotisierung – ältere Frauen haben mit der Erotik nicht abgeschlossen. Sie wollen vielmehr ihre Sexualität leben und genießen. Auf ihre Erotik reduziert werden möchten sie freilich nicht – aber davon ausgenommen sein schon gar nicht!

Erschien in der “Planung & Analyse”, Ausgabe 4 / 2008.