Permanente Wunscherfüllung macht krank- Ines Imdahls Kolumne in der absatzwirtschaft

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Permanente Wunscherfüllung macht krank- Ines Imdahls Kolumne in der absatzwirtschaft

Ines Imdahl

KI trifft unsere Bedürfnisse immer präziser – und macht uns dabei paradoxerweise unglücklich. Warum ständige Wunscherfüllung krank machen kann und was uns psychologisch fehlt, wenn wir in einer perfektionierten Welt leben.

KI bleibt der Hype des Jahrtausends und sie verändert uns Menschen. In tiefenpsychologischen Studien begegnen wir einer Paradoxie, die für Werbung und Marketing brisant ist: KI erfüllt Bedürfnisse perfekt und macht uns genau dadurch unglücklich. Der Traum der perfekten Befriedigung wird zum Stimmungskiller.

Der perfekte Treffer – und das schlechte Gefühl Bedürfnisse identifizieren, befriedigen, optimal in Werbung umsetzen und den idealen Typus darstellen: Das ist klassische Marketingmechanik. KI extremisiert diese Mechanik. Sie trifft punktgenauer, schneller, klarer und damit effizienter als jeder Mensch. TikTok ist ein Experimentierfeld dafür: Auf perfekte Ansprache und sofortige Befriedigung folgen nicht selten depressive Symptome, Abhängigkeitsgefühle und veränderte neuronale Strukturen – besonders bei Jugendlichen. Der Schluss ist unbequem, aber unvermeidlich: Permanente (Wunsch-)Erfüllung macht uns nicht glücklich, sondern krank.

Warum Menschen Reibung brauchen Es gibt mehrere Erklärungen dafür, warum Menschen Reibung brauchen. Zum einen wollen sie sich die Welt selbst erarbeiten. Aneignung, Auslegung, produktive Reibung – das ist alles Teil des Glücks. Das Unfertige lädt ein, sich einzubringen. Perfektes lässt dagegen keinen Raum für Interpretation.

Spannend ist eine Studie zu KI-Influencern: Perfektionierte menschenähnliche Avatare kommen schlechter an als cartoonartige Figuren. Offenbar tut auch die klare Trennung zwischen Fakt und Fake gut, die uns unter anderem durch KI-Anwendungen immer öfter verloren geht. Aber vor allem scheint es der Zwischenraum zu sein – das, was eigene Interpretationen zulässt –, der Glücksgefühle schafft. Allzu Fertiges und Perfektes ist nur auf den ersten Blick schön für die Seele.

Warum Glück mehr ist als die Summe von KI-Daten Im Fußball zum Beispiel schafft KI perfekte Einzelanalysen auch von Laufstrecken und Fehlpässen. Theoretisch müsste es Leistungssteigerungen um viele hundert Prozent geben, denn diese Daten standen uns Jahrzehnte nicht zur Verfügung. Doch das Spiel wird dadurch nicht zwingend besser. Einige behaupten gar, der Fußball sei nicht mehr, was er früher war. Spieler müssen das Spiel auch fühlen, sagt Matthias Sammer. Das ganze Spielglück ist mehr als die Summe einzelner KI-Daten.

Das gilt auch für die Kommunikation und Werbewirkung: KI misst, wo wir hinblicken, hilft, Einzelelemente – vor allem Texte – zu optimieren. Doch den ersten ganzheitlichen Eindruck einer Anzeige oder einer Packungsgestaltung misst sie nicht. Bevor wir überhaupt lesen und sezieren, steht da das ganzheitliche Gefühl, das uns bewegt (oder eben nicht). KI-optimierte Anzeigen oder Packungen sind nicht zwingend die besseren Alternativen. Manchmal machen sie uns nicht an, sind nicht „appetite appealing“, sondern einfach nur eins: KI-optimiert.

Mit KI lässt sich unser Wohlbefinden immer dann steigern, wenn sie uns wirklich entlastet. Aber dort, wo sie zu perfekt wird oder unser Gefühl zu ersetzten versucht, dürfen und sollten wir zu unserem Glück auf das Bauchgefühl hören.

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