Jens Lönneker im Interview mit der Lebensmittel Zeitung zu den Vorteilen von Präsenzarbeit für Geschäftsbeziehungen. Lesen Sie hier das ganze Interview im Wortlaut:
Kontaktarmut in der Pandemie hat die Arbeit verändert. Distanz prägt auch externe Business-Kontakte. Der Psychologe Jens Lönneker, Rheingold Salon, über Kontrollverlust, die Sehnsucht nach Normalität und die Rückkehr ins Büro.
Herr Lönneker, wie hat sich die Distanz auf Geschäftskontakte ausgewirkt?
Das Verhältnis ändert sich durch die fehlende Nähe. Wenn Menschen sich nicht bei Terminen persönlich begegnen, geht Empathie verloren. Die Folge: Mancher Kunde sitzt auf einem recht hohen Ross. Er vertraut weniger auf die Kompetenz des Geschäftspartners, als das früher der Fall war. Es wird verstärkt nach Mängeln gesucht. Zunehmende Korrekturschleifen ziehen Prozesse in die Länge. Zu beobachten ist dies verstärkt, wo die Partner nicht bereits vor der Covid-Krise intensive Beziehungen gepflegt hatten.
Wie erklären sie sich das?
Das hat mit Unsicherheit zu tun. Verschiedene Einflüsse spielen dabei eine Rolle. Die Welt ist individueller geworden, viele empfinden sie als kälter. Corona war ein massiver Einschnitt. Alles wurde auf den Kopf gestellt. Dazu kommt der Klimawandel. Und jetzt noch der Ukraine-Krieg. Die Menschen sind erschüttert, haben Angst, fühlen sich ohnmächtig. Diesen Verlust an Kontrolle und Sicherheit versuchen sie zu kompensieren. Deshalb fordert man noch klarere Daten, eindeutigere Ergebnisse und Prognosen von einem Dienstleister oder Lieferanten. Das funktioniert aber nicht. Die Welt ist anders. Alles wird komplexer. Die Verunsicherung trifft die Menschen ausgerechnet im Homeoffice. Das verschärft die Situation.
Warum wird die Unsicherheit im Homeoffice verstärkt?
Soziale Bindungen geben Halt. Doch die wurden zwei Jahre lang heruntergefahren. Sehen und Hören sind Distanzsinne, sie schaffen keine Nähe. Fühlen funktioniert auf Distanz nicht. Nur durch Nähe entstehen Geborgenheit, Freundschaft, Verbundenheit und Vertrauen. Die sinnliche Erfahrung, im gleichen Raum zu sein, ist anders als am Bildschirm. Das gemeinsame Erleben schafft Vertrauen und gibt ein Gefühl von Stabilität. Isolation dagegen deprimiert auf Dauer.
Mit dem Ende der Homeoffice-Pflicht können Arbeitgeber die Beschäftigten zurück in die Büros beordern. Wird dann alles wieder gut?
Ein Zurück zur Vor-Corona-Arbeitsweise wird es wohl kaum geben. So eine Vorgabe par Ordre du Mufti wäre ganz sicher keine gute Idee. Die Führung sollte mit dem Ende der Homeoffice-Pflicht eine moderne Form des Arbeitens entwickeln.
Können Arbeitgeber damit argumentieren, dass es allen besser geht, wenn sie wieder präsent sind?
Nein. Ein fester Rahmen gibt zwar Sicherheit. Aber das findet im Vor- und Unterbewussten statt. Was wir bewusster wahrnehmen, ist die Freiheit, selbst zu bestimmen, wie und wo wir arbeiten. Es ist schwierig, wieder eine Verbindlichkeit des miteinander Arbeitens herzustellen.
Wollen die Menschen denn nicht zurück ins Büro?
Das hängt von der persönlichen Situation ab. Viele haben das Homeoffice zu schätzen gelernt: Die Zeit mit der Familie, der Wegfall von Fahrzeiten. Dieser Gewinn an Freiheit wird intensiver wahrgenommen als die beschriebene Verunsicherung. Rational wollen wir das erhalten. Aber es gibt natürlich andere, die auch im Lockdown lieber im Unternehmen gearbeitet haben. Insgesamt ist die Sehnsucht nach Normalität in der Bevölkerung groß. Die Arbeitgeber müssen den richtigen Weg zu mehr Präsenz finden und die Perspektive der Mitarbeiter berücksichtigen.
Wie kann das aussehen?
Sinnvoll ist ein gemeinsamer Diskurs darüber, wie Zusammenarbeit künftig gestaltet wird. Unternehmen sollten das Homeoffice nicht komplett aufgeben. Reine Präsenzpflicht ist keine Lösung, sie muss einen Mehrwert haben. Es macht zwar Sinn, einen festen Rahmen zu etablieren, der Nähe und gemeinsame Erlebnisse ermöglicht. Doch wie dieser Rahmen gestaltet wird, daran sollte das Team mitwirken. Das Ergebnis kann ein regelmäßiges festes Meeting mit Anwesenheitspflicht sein, darüber hinaus mag es aber Spielraum für Flexibilität geben. Im Detail lässt sich das nur im Dialog entwickeln.
Wie gelingt es, dass Mitarbeiter wieder gerne ins Büro kommen – und nicht nur auf Anweisung?
In der Kommunikation sollten Arbeitgeber die positive Erfahrung des unmittelbaren Miteinanders in den Vordergrund rücken. Individueller Spirit lässt sich nur erleben, wenn alle Zeit im Unternehmen verbringen. Wenn man beim Kaffee den Flurfunk mitbekommt, die Kollegen in ihren Umgangsformen erlebt. Das ist eine Wahrhaftigkeitserfahrung, die den Zusammenhalt und die Verbundenheit stärkt. Daran gilt es anzuknüpfen. Dennoch wird die Bereitschaft unterschiedlich sein. Wenn jemand nur fünf Minuten entfernt wohnt, ist die Hürde, mal schnell ins Büro zu springen, niedriger, als wenn jemand 250 Kilometer überwinden muss und in den vergangenen zwei Jahren wunderbar von zuhause gearbeitet hat.
Schadet es, wenn nur ein Teil des Teams wieder vor Ort ist?
Das ist möglich. Dann müssen Mitarbeiter und Unternehmen sich über Prioritäten klar werden und entsprechende Konsequenzen ziehen. Kann sein, dass Anwesenheit für die Aufgabe elementar ist. Kann auch sein, dass es weiter auf Distanz funktioniert.
Ist die eingangs beschriebene Suche nach Mängeln reversibel? Werden zurückkehrende persönliche Kontakte die Empathie im Geschäftsleben wieder stärken?
Wir brauchen persönliche Begegnungen, dann kommt wieder mehr Stabilität in die Geschäftsbeziehungen. Der soziale Kitt ist auch bei externen Kontakten wichtig. Dennoch wird die Suche nach Kontrolle zunehmen. Wir werden nicht genau so zu Präsenztreffen zurückkehren, wie es vor der Krise üblich war.
Wie muss man sich umstellen?
Der Prozess der Zusammenarbeit muss intensiver begleitet werden. Es funktioniert weniger, ein Angebot abzugeben und später fertige Ergebnisse zu präsentieren. Auf dem Weg dahin gilt es, die Kommunikation mit dem Kunden aufrecht zu erhalten, ihn kontinuierlich einzubeziehen. So müssen wir Vertrauen „on the go“ schaffen, wenn es nicht durch gewachsene persönliche Nähe aufgebaut werden konnte.