Bitte erzähl mir eine Geschichte…

von Ines Imdahl

kultur & gesellschaft, Unkategorisiert, veröffentlichungen, werbung & kommunikation, wissenschaft & theorie

Bitte erzähl mir eine Geschichte…

von Ines Imdahl

Auf fast jedem Digital-Kongress geht es derzeit um Storytelling. Fast könnte man glauben, das Thema wäre erst vor kurzem erfunden worden. Dabei ist das Geschichtenerzählen so alt wie die Menschheit. Über Geschichten kommunizieren wir – selbst Daten und Fakten merken wir uns am besten über zusammenhängende kleine Geschichten. Denken sie nur an die Gedächtniswelt-meister, die sich für das Sammelsurium von Gegenständen und Zahlen immer eine Story ausdenken, um sich die Reihenfolge besser zu merken.

Yves Coppens und Fabrice Demeter vom Collège de France in Paris sowie Michael Bisson von
der McGill University in Montreal gehen noch viel weiter: Nur durch Geschichten, Märchen und
Ausdrucksformen der Kunst, so die These, kann sich eine Kultur erhalten und überleben. Im
Unterschied zum Homo Sapiens habe der Neandertaler keine Geschichten erzählt. Nicht seine
kleinere Gehirngröße, sondern die Tatsache, dass er kein Bewusstsein über seine Vergangenheit
schuf, wäre dann der Grund seines Aussterbens gewesen. What a – different – story!
Storytelling wäre damit keine Erfindung der Neuzeit – sondern in Form unserer Geschichten
überlebensnotwendig.
Dennoch gibt es ihn nun den Hype Storytelling in der Werbung. Plötzlich geht es nicht mehr nur
um Recall, Aufmerksamkeitsstärke, Markenwahrnehmung oder nur Conversion- und Klickrates.
Aber aus psychologischer Sicht ging es nie nur darum. Selbst wenn die Intention eine rein
rationale war und keine Geschichte intendiert war, trifft keine Botschaft nur die rationale
Ebene. Man kann das emotionale oder irrationale des Menschen nicht nicht ansprechen. Man
kann sich nur entscheiden, ob man die Botschaft auf dieser Impact Ebene gestaltet oder dem
Zufall überlässt.

Die Oberfläche der Story – ist keine Story!
Wie geht das denn nun eigentlich mit dem Storytelling – dazu lässt sich in der letzten Zeit viel
Überraschendes lesen und hören. Überraschend, weil sich fast immer nur, oder immer noch
nur, mit der Oberfläche beschäftigt wird. Im Zentrum steht aus psychologischer Sicht lediglich die Optimierung der Cover-Story.


Kann die Werbung erinnert werden? Welche Markenbotschaft wird gesandt? Kommt der Produktbenefit an? Wird die Marke richtig zugeordnet?
Und finden genügend Menschen die Werbung sympathisch genug? Daraus entstehen
vermeintlich Geschichten wie diese: Bunte Kondome fliegen durch die Luft (= Aufmerksamkeitsstärke generieren, Sex Sells, bunt ist sympathisch), ebenso buntes Anti- Baby-Pillenpäckchen
wird gezeigt. Dann Schnitt, die nächsten Szenen setzen Punk versus Pop. Eine Szene ist
aufmerksamkeitsstärker als die andere, auf den Zusammenhang wartet man ‚gespannt‘. Dann
kommt das Auto ins Bild – eher schlecht zu erinnern, aber die Hoffnung ist: die starken
sympathischen Szenen, machen auch das Automodell sympathisch. Seriously? Das ist keine
wirkliche Story für unser Gemüt – und wird auch dann kein besseres Storytelling, wenn die
Marke gleiche im ersten Bild mit eingeblendet wird. Eine Standardlösung übrigens, wenn es um
Verbesserung der Markenwahrnehmung geht.
Solange Storytelling sich überwiegend mit Fragen beschäftigt, ob die Marke am Anfang oder am
Ende eingeblendet wird, oder Packshot von rechts oder links zu sehen ist, wird in Deutschland
die Werbung wohl so unsexy bleiben, wie sie ist. Selbst dann, wenn sich mit Inhalten beschäftigt
wird, will man nicht ‚anecken‘. Fröhliche Familien die am Tisch sitzen – und alles essen, was die
Markenlandschaft zu bieten hat. Emotionaler soll es mit zusätzlichem Hund werden – in den
Sozialen Medien lieber mit Katzen. Weil das alle schön finden und es niemandem weh tut
entstehen smoothe, harmonische aber langweilige Geschichten. 24 h Traumschiff ohne Krisen.
Böses, Fieses, Gemeines wird in der Werbung nicht aufgegriffen. Ohne Dove hätte es noch nicht
mal ‚dickere Models‘ gegeben. Dabei weiß zumindest die Boulevard- Presse seit Jahren, was
Auflage bringt: je dramatischer desto besser. Das Leben und Interesse der Menschen ist nun mal
eher Titanic als Traumschiff.
Berührendes und bewegendes Storytelling funktioniert anders. Dabei geht es auch, aber nicht
nur, um eine „geile“ kreative Idee. Will man wirklich etwas in den Menschen auslösen,
berücksichtigt man verschiedene Ebenen der Geschichte: die Cover-Story und die Impact-Story.
Denn ob man will oder nicht, es gibt die zweite Ebene – man kann sich nur entscheiden, ob man
sie aktiv beeinflusst, oder lieber dem Zufall überlässt.
Märchenhaft berührt – wie Werbung wirklich funktioniert:
Von den Märchen und Mythen unserer Kultur lässt sich lernen, welche Themen uns wirklich
tiefenpsychologisch bewegen, welche Geschichten uns nicht mehr loslassen und wie wir sie für
die Impact-Story einsetzen können. Dabei geht es um die Prinzipien, die diese immer wieder

erzählten Geschichten auszeichnen, und nicht etwa darum, ein Wolf, Rotkäppchen oder
Schneewittchen in den Geschichten herumspringen sollten.
Gutes Storytelling bewegt wie ein Märchen die wirklich relevanten immer wieder kehrenden
Lebensthemen mit: Erwachsen-Werden, Liebe suchen und finden, Kinder-Bekommen, ÄlterWerden, Sterben. Die großen Gefühle wie Liebe, Trauer, Sehnsucht, Heimweh, Hass gehören
auch dazu. Zudem alltägliche Probleme, die uns mehr oder weniger bewusst verwickeln,
machen eine Werbung bewegend: Groß gegen Klein, Gutes gegen Böses, Schicksalhaftes gegen
Selbstbestimmung, Oben gegen Unten, Macht gegen Ohnmacht. Das ist relevant in unserem
Alltag: Wie oft fühlen wir uns dem Partner, dem Chef, dem Nebenbuhler, dem Auftraggeber
unterlegen? Wie kann man sich als Kleinerer, Jüngerer (oder Älterer bzw. zu alter Mensch)
gegen anderen durchsetzen? Wie mit Ungerechtigkeiten umgehen? Wie seinen Ärger, seine
Wut und seinen Zorn unter Kontrolle bekommen? Wie kann man zufrieden sein mit sich und
der Welt? Und wie nicht ständig neidvoll zu anderen schielen?
Das hat nichts mit Produkten zu tun? Doch hat es: Mit Chips kann man Aggressionen weg
futtern, mit einem Glas Wein, den lieben Gott einen guten Mann sein lassen, mit einer
Versicherung dem Schicksal ein Schnippchen schlagen, mit einem Make-Up sich für die Gehaltsverhandlung mit dem „übermächtigen“ Chef wappnen oder einen Auftritt „kontrollieren“. Viele
Produkte und mit ihnen manche Marken, helfen, sich besser durch den Alltag zu schlagen. Die
Werbung muss zeigen, worin die Hilfe besteht, welche Bedeutung der Marke zugewiesen
werden soll oder worin ihr konkreter Mehrwert unserer Alltagsdramatik bieten kann.
Wirklich gute Werbegeschichten thematisieren neben den menschlich allzu menschlichen
Lebensthemen und der Ansprache der teils „dramatischen“ Alltagsmotive auch den Zeitgeist.
Denn, was uns wichtig ist, ändert sich im Wandel der Kultur: Gemeinschaft ist heute wichtiger
als in den 90er Jahren. Kontrolle und Sicherheit ist aktuell relevanter als Freiheit!
Tiefenpsychologisch betrachtet muss die Impact Story also Lebensthemen, zeitgeistige Werte
und Alltagsverfassungen aufgreifen und das Produkt sinnvoll in die Geschichte integrieren.
Stilmittel für gutes Storytelling
Es gibt sechs relevante Stilmittel, die sich von den Märchen abgucken lassen. Drei davon werden
hier kurz vorgestellt.

Moderne Heldengeschichten
Märchen zeigen wie Heldengeschichten bewegen: Fast immer argumentieren sie von der
unterlegenen Position aus. Der Kleine, der Dumme, der oder die Jüngste und Hässlichste
gehen am Ende als Alltagshelden hervor. Werbung hingegen schert sich wenig um den
„kleinen Verbraucher“, sondern inszeniert die Marke als glänzendes Gold und als Helden
der Geschichte. Keine gute Idee, um Menschen für sich zu gewinnen. Die zentrale Frage
ist vielmehr, wie kann man den Kunden zum Helden machen? Oder um den Zeitgeist zu
berücksichtigen: Wie kann man seine Kunden heute berühmt machen?

Faszination des Bösen
Aggressionen und Gewalt sind kein Phänomen des Computerspielzeitalters. Schon
immer mussten sich die Menschen mit dem Üblen in der großen weiten Welt (wie in
den USA oder der Türkei) und im eigenen, kleinen Inneren auseinandersetzen. Nicht
selten haben wir sogar so viele negative Gedanken, dass wir uns dafür schämen. Beim
Autofahren zum Beispiel. Wie oft fluchen und schimpfen wir lautstark über andere,
wenn es keiner hört. Wie oft würden gern in Gedanken den ein oder anderen um die
Ecke bringen. Und es kommt noch schlimmer: Wir haben diese Gedanken nicht nur, wir
freuen uns auch noch an dem Bösen. Wir sind fasziniert von Drachen, Riesen und bösen
Zauberern. Was wäre Harry Potter ohne Lord Voldemort oder Der Herr der Ringe ohne
Sauron? Unsere Aufgabe im Alltag ist es, unsere „bösen“ und „fiesen“ Neigungen in
einen gesellschaftlich verträglichen Rahmen zu bringen. Dabei kann die Werbung helfen.
Indem sie zeigt, welche Neigungen es gibt. Das entlastet uns, weil wir uns dann nicht
mehr schämen müssen. Und indem sie zeigt, wie ein Produkt oder eine Marke uns helfen
kann, diese Neigungen kulturverträglich zu machen. In einer ohnehin schon heilen,
harmonischen Welt hingegen, braucht es eigentlich kaum noch ein Produkt, das diese
verbessert. Eine solche Werbung ist zwar harmonisch, aber irrelevant. Aber den
Werbern fehlt der Mut mit dem Bösen zu spielen – schon die „dickeren Models“ könnten
ja negativ auf das Markenimage abstrahlen.

Sich einen Reim machen können
Unterschätzt werden Claims und Slogans. Nicht nur dass sie alle nasenlang geändert
werden, sie sind ebenso austauschbar wie nichtssagend. Schnell zusammengeschustert
und oft nicht mal in Werbemitteltests mit überprüft entstehen dabei nahezu bedeutungslose Sätze wie „Wir gestalten die Zukunft“ oder „Leistung aus Leidenschaft“. Weder
die Branche noch der klare Mehrwert für den Kunden sind im Zentrum – denn beim
ersten handelt es sich nicht um ein Architekturbüro und beim zweiten um nichts aus
dem Bereich der Technologie.

Dabei sind Claims die Botschaft der Marke zum mitnehmen. Sie bringen idealerweise
das Hauptmotiv der Verwendung in eine knackige Formel. Ein guter Claim fasst die
Werbegeschichte zusammen, so wie es die Märchen in ihren prägenden Botschaften
tun: Spieglein, Spieglein an … , Knusper, knusper, knäuschen… die Sätze kann fast jeder
zu Ende führen. Haribo macht Kinder in allen Ländern mit einem sich reimenden Claim
froh. Und Douglas wird „Come in and find out“ nicht wieder los, weil er etwas getroffen
hat – besser als alle anderen Claims danach. Sich einen Reim auf Werbung und Marke
machen, ist gar nicht so einfach. Daher: Wenn man einen hat, dann sollte man dabei
bleiben. Denn es gibt weder für ein Produktfeld noch für eine Marke wirklich viele
alternative Möglichkeiten.


Lust auf Mär? Natürlich kann nicht jede Werbegeschichte mit allen Mitteln arbeiten. Die
Stilmittel eignen sich für die einzelnen Branchen unterschiedlich gut. Aber damit Ihre
Kunden Sie bitten, Ihnen weiter Geschichten zu erzählen, lohnt es sich weitere
psychologisch relevante Stilmittel kennenzulernen. Wir freuen uns über eine
Kontaktaufnahme imdahl@rheingold-salon.de.