Wir müssen komplexer denken, wenn wir über Onlinehandel und CX nachdenken – denn Mensch und Unternehmen greifen als Systeme bei der Customer Experience ineinander. Das impliziert mehr Anforderungen als auf den ersten Blick sichtbar sind.
CX ist Human Experience – warum wir komplexer denken müssen.
Welche Rolle spielt der Mensch im Onlinehandel? Jeder Kunde ist Mensch und Erfahrungen machen wir zunächst als Menschen. Die Reaktion auf ein Angebot ist immer dann besonders positiv, wenn man sich nicht nur als zahlender Kunde angesprochen, sondern sich dazu noch verstanden fühlt. In der Kauf- oder Nutzungsverfassung des E-Commerce. Wir wollen spüren, dass sich Mühe gegeben, dass sich etwas überlegt wurde, vielleicht etwas Überraschendes oder Einfaches in der Handhabung und doch Tiefgründiges in der Ansprache . Wir wollen spüren, dass es eben nicht nur um unser Geld allein geht, sondern eine Marke oder ein Unternehmen es ernst meint mit uns als Kundinnen und Kunden.
So wie auf der einen Seite der ganze Mensch «hinter» der Kundin oder dem Kunden oft übersehen wird, wird umgekehrt nicht bedacht, dass jeder Touchpoint Ausdruck für die ganze Marke bzw. das komplette Unternehmen ist. Pars pro toto also, und zwar in beiderlei Hinsicht. Es trifft viel mehr aufeinander als auf den ersten Blick sichtbar ist: das System Mensch und das System Unternehmen. Diese Komplexität ist der Grund für die Komplexität der CX-Forschung und des CXM insgesamt.
Online-Handel richtet sich oftmals zu sehr an den Prozessanforderungen der Unternehmen aus. Es wird viel zu wenig aus der Perspektive der Kundschaft angeschaut. Natürlich ist Ablaufs-Vereinfachung aus unternehmerischer Sicht sinnvoll. Nicht immer ist es das aber auch für Kundinnen und Kunden. Projekt- und Auftragsnummern sind für Unternehmen eine Vereinfachung , für den einzelnen Menschen aber ein Störfaktor. Sie vermitteln der Kundschaft darüber hinaus das Gefühl, nur eine Nummer und noch nicht mal mehr eine Kundin oder ein Kunde für das Unternehmen zu sein.
Um Menschen auch online glücklich zu machen, bedarf es eigentlich gar nicht so vieler anderer Faktoren als dies offline der Fall ist. Mehr Technik und Digitalisierung, die idealerweise funktioniert, ist freilich die Grundlage. Jedoch ist es falsch zu glauben, dass die digitale Transformation allein selig machend ist. Sie ist Mittel zum Zweck und Entlastung bei einfachen Prozessen, um Raum für Menschlichkeit bei komplexen Prozessen zu haben. Und nicht, um die Menschlichkeit wegzurationalisieren.
Komplexität und Menschlichkeitslogik stellen somit folgende Anforderungen für gute CX im Onlinehandel:
- Onlinehandel darf nicht als isolierter Prozess angesehen werden. Unternehmen und Menschen sind komplexe Systeme, die über die Customer-Experience ineinandergreifen.
- Onlinehandel sollte mehr aus der Perspektive der Kundschaft als aus der Perspektive der Unternehmen betrachtet werden. Eine Vereinfachung von Prozessen, die nur dem Unternehmen nutzt, ist keine Vereinfachung, sondern eine Risikoanlage.
- Onlinehandel sollte die tiefenpsychologischen Motive und Bedürfnisse seiner Branche kennen, um sich genau darauf einstellen zu können. Diese können in Bereichen wie Finanzen oder Kosmetik sehr unterschiedlich sein.
- Onlinehandel sollte über sich hinausgehen. Es geht nicht nur um Verkauf, sondern neben dem Kundenverständnis auch darum, einen Mehrwert und Sinn für die Kundschaft zu schaffen: nachhaltiger, klimaneutraler oder überraschender als andere zu sein, ist dabei ein Anfang.
Publiziert am 14.12.2021 von Ines Imdahl, Diplom-Psychologin, Gründerin und Inhaberin der Forschungsagentur rheingold salon.
Bild und Text erschien als Artikel auf der Website der Schweizerischen Post.