In unregelmäßigen Abständen präsentiert die Wilhelm Salber Gesellschaft auf ihrer Website einen Text aus anders – Zeitschrift für Psychologische Morphologie. Die Kolumne von Ines Imdahl “Schluss mit lustig: Witzlose Werbung?” ist aus anders 23/2015.
Wieso ist die englische Werbung angeblich immer so viel witziger? Sind die Deutschen langweilig und humorlos? Fragt man die Menschen, wollen fast alle lustigere Werbung. Aber wie komisch ist eigentlich das Witzige? Und wie lustig ist eine Werbung beim zweiten Mal anschauen? Der angeblich witzigste Witz der Welt zum Beispiel ist überhaupt nicht wirklich lustig. Den suchte Professor Richard Wiseman 2001 ein Jahr lang mit seinem Forscherteam im Auftrag der British Association for the Advancement of Sience. Mehr als 40.000 Witze von 350.000 Menschen aus 70 Ländern wurden in dem internetgestützten Projekt „Laugh Lab“ gesammelt und ausgewertet. Jeder Teilnehmer gab seinen Lieblingswitz ein und beurteilte andere. Kaum ein Witz erhielt von mehr als 25 Prozent der Menschen Zustimmung. Männer lachen über anderes als Frauen, Amerikaner über Kanadier, Engländer über Iren, Juden über Nicht-Juden, unterschiedliche ethnische, religiöse oder soziale Gruppen haben jeweils einen anderen Sinn für Humor. Deutlich wurde lediglich: Menschen amüsieren sich gern auf Kosten anderer. Schadenfreude ist eine erstaunlich gut funktionierende Form des Witzes. Schon Schopenhauer bezeichnete sie als „Gelächter der Hölle“. Sie ermöglicht, an „bösen, fiesen und aggressiven“ Seiten zu partizipieren, ohne sich selbst wirklich so verhalten zu müssen. Eine neue Studie behauptet gar, dass wir durch das Unglück anderer genauso viel Freude erleben können wie durch ein Geschenk.
Es entlastet uns, wenn es einen Überflieger wie Thomas Middelhoff erwischt. Wie beim diebischen Wirt im »Tischlein deck Dich« finden wir auch im Fall von Middelhoff, dass er seine Strafe verdient hat.
Wenn der Witz der Schadenfreude aus einer ohnmächtigen Situation eine überlegene zaubern kann, dann können Autofahrer über Politessen, Dunkelhaarige über Blondinen, Mitarbeiter über Chefs lachen. Logischerweise finden es Deutsche nur halb so komisch, über Iren zu lachen wie Engländer.
Letztlich war der „lustigste Witz der Welt“ folgender: Zwei Jäger gehen durch den Wald, da bricht der eine plötzlich zusammen. Es sieht aus, als würde er nicht mehr atmen, und seine Augen sind glasig. Der andere zieht sein Handy heraus und wählt den Notruf. „Mein Freund ist tot“, keucht er, „was soll ich tun?“. „Immer mit der Ruhe“, sagt der Mann am anderen Ende. „Erst mal müssen wir genau wissen, ob er tot ist.“ Schweigen, dann hört man einen Schuss. Der andere Mann greift wieder zum Telefon und sagt: „Okay, und jetzt?“
Ein richtiger Schenkelklopfer ist der Witz wohl nur für wenige. Die Pointe ist fast vorhersagbar. Kaum jemandem wird zu nahe getreten. Lediglich die vermutlich nicht allzu große Fraktion der Jäger könnte sich aufs Korn genommen fühlen. Entsprechend schwierig ist es mit dem Werbe-Witz. Er ist zwar ein mögliches Werbemittel, aber kein Allheilmittel. Und: Nichts ist langweiliger als ein Witz, den man schon kennt. Denn aus psychoanalytischer Sicht lebt ein Witz davon, dass „ein vorbewusster Gedanke für einen Moment der unbewussten Bearbeitung überlassen wird und das Ergebnis dann zum Bewusstsein gelangt“. Anders ausgedrückt: Für einen Moment deckt der Witz unserem Seelischen einen strukturellen Zusammenhang auf, den wir in unserem Alltag so nicht immer mitdenken oder erleben. Beim Doppelsinn von Wörtern zum Beispiel. Wenn ein Mitglied nur ein Mann sein kann oder eine Arzthelferin Abstriche im Job machen muss.
In der Werbung kann ein solcher Zusammenhang der Verweis auf implizite kulturelle Bedeutungen sein. Etwas, auf das wir uns unbewusst „geeinigt“ haben. „Wenn ich groß bin, will ich auch Spießer werden“ zeigt, welche Attraktivität das Spießige heute haben kann. Gewöhnlich als Schimpfwort genutzt, werden hier vor allem Sicherheit und ein festes Zuhause in den Vordergrund gerückt. Durch den Werbewitz wurde diese damals eher verborgene Seite deutlich. So zeigte der Spießerspruch einen überraschenden, unerwarteten Zusammenhang. Fehlt die Überraschung, weil man die Pointe kennt oder erahnt, wird der Witz meist witzlos. Ein Grund, warum wir dann auch von einem sich ständig wiederholenden Witz in einer Werbung schnell genervt sind. Hingegen schmunzeln immer noch viele über den Berufswunsch des kleinen Mädchens. Nur selten hält sich ein Lächeln aber derart lange. Weil es kaum jemals so gut gelingt, aktuelle Wertvorstellungen, Trends und Zeitgeist mit einem Werbewitz aufzugreifen und einen Dreh zu den eher unbewussten Strukturen zu finden. Die Vereinbarkeit von rebellischem Individuellem und haltgebenden Ordnungen stehen derzeit immer noch hoch im Kurs. Daher lächeln wir noch immer, wenn es um die Spießigkeit geht. Hier stimmte darüber hinaus auch noch der Zusammenhang zum beworbenen Produkt. Bausparen war – damals – etwas aus der Mode geraten, aber die LBS zeigte auf charmante Weise, dass ein Haus die Sehnsucht nach Ordnung und Sicherheit symbolisch in besonderer Weise erfüllt. Zwanghaft nach einem Witz zu suchen bringt in der Werbung hingegen nicht sehr viel. Und witzlose Werbung kann sogar gut funktionieren. Denn sie kann sich das Prinzip des Witzes durch die Märchenanalogien zu Nutze machen: Durch die Ansprache existenzieller Themen und Lebensbedingungen sollte sie Zusammenhänge herstellen und aufzeigen, die wir so noch nicht gesehen haben. Zum Beispiel, wenn es um die jeweils anderen Seiten von kulturellen Setzungen geht. Oder darum, wie man als Kleiner auch mal ganz groß werden kann. Auch das Kind in der genannten LBS-Werbung verfolgt im Witz eigentlich eine Märchenanalogie: Der Wunsch, eine kleine Spießerin zu werden, ist der Prinzessinnenwunsch – raus aus dem für sie eher abschreckenden Punkleben in ein Dachwohnungsschlösschen. Die tiefenpsychologische Struktur geht hier weit über das Witzige an sich hinaus –nur daher funktioniert dieser Witz. Ohne einen sinnvollen, märchenanalogen, zeitgemäßen und produktverwendungs-spezifischen Zusammenhang ist witzige Werbung witzlos. Eine weltweite Studie wie die von Richard Wiseman zeigt dies zwar eindrücklich, wäre aber gar nicht erforderlich. Durch tiefenpsychologische Studien, die dem morphologischen Ansatz folgen, lassen sie die Strukturen eines Witzes in der Werbung analysieren. Ob ein kulturell relevanter Themenkreis, wie derzeit zum Beispiel Gemeinschaft und Sicherheit oder alternativ ein bedeutsames Lebensthema wie das Großwerden, bewegt wird und damit die Menschen berührt werden, kann schlüssig aufgedeckt werden. So gesehen ist die englische Werbung kaum witziger als unsere. Wir würden sie gar nicht komisch finden. In England wie in Deutschland funktioniert der Witz in der Werbung nur durch das Herausheben kultur- oder lebensrelevanter Themen – wie dies im Märchen auch geschieht. Werbung muss daher nicht witzig sein – sie muss Relevanz für das Seelische besitzen.