Warum Social Media weder gut noch schlecht ist.

von Ines Imdahl

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Warum Social Media weder gut noch schlecht ist.

von Ines Imdahl

Ines Imdahl verrät im turi2-Interview mit Heike Turi, wie es gelingen kann, Social Media weder zu verteufeln noch zu idealisieren & warum es psycho-logisch ist, dass sich eine Social Media Fatigue einstellt. Außerdem: Tipps & Fallstricke für Kommunikationsprofis & CEOs.

Hier lesen Sie den Beitrag im Wortlaut. Das Original-Interview finden Sie hier.

Heike Turi: Ines, wenn Du auf das Phänomen Social Media schaust, als Psychologin und vierfache Mutter: Was ist gut, was ist schlecht an Social Media?

Ines Imdahl: Generell Schlechtes oder Gutes gibt es wie bei fast allen Phänomenen nicht. Als Forscherin und Psychologin geht es mir auch zunächst nicht darum, in gut versus schlecht zu kategorisieren, sondern zu beobachten, zu beschreiben und zu verstehen. Als Mutter allerdings lässt sich eine solche Distanz nicht immer herstellen. Da denke ich oft: Tut den Kindern das gut? Tut es mir gut? Was macht das mit den Kindern? Dann hilft mir umgekehrt, dass wir Studien haben, die mir erlauben, unseren Kindern zu erklären, warum wir bestimmte Dinge nicht gestatten oder kritischer sehen als andere Eltern.

Spannendes Thema. Lass uns zuerst auf die Vorteile von Social Media blicken.

Social Media bietet die Möglichkeit zum Netzwerken und Kontakten in einer nie dagewesenen Weise. Auch wieder in Kontakt zu treten mit Menschen, die man vielleicht aus den Augen verloren hat. Das schafft ein Gefühl von Relevanz und Bedeutung für die Menschen. Dazu kommt die Möglichkeit des Vergleichs und der Relativierung gerade bei Themen, bei denen sich viele Menschen sonst allein gelassen fühlen: Bodyshaming, Imposter-Syndrom, ADHS, Essstörungen – plötzlich ist man nicht mehr allein, sondern sieht, es gibt viele Menschen mit diesem Problem. Das schafft ein Gefühl von Aufgehoben-Sein und Erleichterung. Beide Aspekte werden allgemein unter “Community” abgehandelt, aber ich finde, es wichtig beides differenzierter zu betrachten.

Was macht Social Media für viele so attraktiv – gerade auch im Vergleich zu den klassischen Medien?

Die Aufbereitung von Informationen in visuell oder sprachlich leichter Verdaulichkeit. Anders formuliert: In nur einem Satz, in einem 15 bis 30 Sekunden kurzen Video, in attraktiver Gestaltung, mit starkem Hook am Anfang liefert Social Media sehr gut zugänglich Informationen, die man sich sonst mühselig zusammensuchen müsste. Viele davon bleiben hängen, weil sie überraschen oder weil sie sinnvoll bei unseren Themen anknüpfen. Das schafft das Gefühl, gut informiert, am Puls der Zeit zu sein. Plus die Möglichkeit, schnell in einer breiteren Öffentlichkeit für ein Thema Aufmerksamkeit zu schaffen, für etwas eintreten zu können, etwas zu bewegen – auch als ganz normaler Mensch, statt auf Medien zu warten zu müssen, die einem diese Öffentlichkeit anbieten – das kann ich aus Erfahrung bestätigen, es gilt mindestens für mein Herzensthema Gendergleichwertigkeit.

Du bist Wissenschaftlerin. Du weißt, dass nicht alles Gold ist, was glänzt.

Klar, die Vorteile stellen gleichzeitig die psychologischen Herausforderungen dar: Die Option des Kontaktens und Netzwerkens macht Follower-Anzahl zu einer neuen Währung, das Gefühl der Relevanz relativiert sich, man – vor allem junge Menschen, aber zunehmend auch ältere – fühlen sich gar weniger bedeutend, wenn sie nur wenige Kontakte haben. Jugendliche nehmen die Anzahl ihrer Likes auf einen Post oder einem Reel gar als Maßstab dafür, ob ihr eigenes Erleben gut genug war oder gar ihr Leben etwas wert ist.

Wie belastbar ist der Aspekt des Aufgehoben-Seins und des Gehört-Werdens?

Natürlich sieht das Leben vieler Menschen auf Instagram oder TikTok einfach zu gut aus. Statt sich selbst aufgewertet zu fühlen, fühlen sich viele schlechter – auch in Abhängigkeit der Dauer der Nutzung. Gerade junge Mädchen trifft das sehr, sie sind überproportional unglücklich und unzufrieden – darüber hinaus werden sie auffällig oft wieder in alte Rollenbilder gedrängt. Eine große Gefahr besteht auch in dem Glauben junger Menschen, schnell und ohne Aufwand berühmt werden zu können. Über 30 Prozent wollen heute berühmt werden um des Berühmt-Seins willen. Das waren vor 15 Jahren in dieser Zielgruppe weniger als 13 Prozent. Das führt dazu, dass viele Menschen, viel zu viel auch allzu persönliche Dinge und nackte Haut von sich Preis geben.

Da müssen bei Dir als Mutter einer Tochter im Teenager-Alter doch die Alarmglocken klingeln. Wie behalten Du und Dein Mann bei vier Kindern die Kontrolle über Social Media?

Als Eltern versuchen wir, mit unseren Kindern zusammen Regeln zu entwickeln, die dazu führen, dass die Vor- die Nachteile in weiten Teilen überwiegen. Dazu gehört, abends das Handy an die gemeinsame Ladestation in der Küche zu stecken, nachts wie beim Essen keine Medien. Auch die Schulzeit – also der konkrete Vormittag in der Schule – ist bei uns bis zum 14. Lebensjahr komplett handyfrei gewesen. Womit wir die einzigen waren, laut unserer Kinder. Außerdem versuchen wir uns mit den Kindern gemeinsam Inhalte anzuschauen, die sie begeistern und darüber zu reden.

Warum handhaben das nicht alle Eltern so?

Es ist vielleicht das Schwerste, sich einzugestehen, dass wir den Umgang mit Social Media niemals vollständig kontrollieren können und gleichzeitig gerade beim Umgang mit Social Media nicht zu sagen: Da kann man ohnehin nichts machen. In unseren Studien fällt auf, dass Eltern bei Social Media eher dazu neigen, sehr oder zu viel freie Hand zu lassen. Wir haben gemessen, dass in der Gen Z Kinder bis zu acht Stunden am Tag auf Instagram sind, einen Großteil davon während der Unterrichtszeit. Eine Limitation hatten die Kinder von den Eltern dabei nicht – und es fand trotz Handyverbots in den Schulen statt. Während wir es also mit einer Elterngeneration zu tun haben, die einerseits oft mit dem Begriff Helikopter-Eltern zusammengebracht wird, scheint sie im Umgang mit Social Media eher hilflos. Das liegt aus meiner Sicht vor allem daran, dass Eltern hier völlig auf sich gestellt sind und aktuell nach Bauchgefühl entscheiden müssen, wie sie mit der Situation umgehen möchten – mangels wirklich guter Studienlage, was und wieviel noch okay ist und was zu viel.

Mir persönlich macht die Informationsflut und die unerschöpfliche Vielfalt zu schaffen. Aber das mag auch an meinem Alter liegen.

Du bist nicht allein. Eine gewisse “Social Media Fatigue” greift um sich. Es wird immer schwerer zu sortieren, was wichtig ist, was wir aufnehmen wollen, was richtig oder falsch ist. Wir sind mit der Dauerbefeuerung von Informationen unter permanentem Stress, dem wir uns kaum entziehen können. Zeitweilig löschen meine Kinder umgekehrt immer mal wieder TikTok. Eines hatte sich schon als Erwachsener zwei Jahre komplett vom Smartphone verabschiedet – ausgerechnet unser Informatik-Student.

Was ist so schlecht daran, sich von Social Media unterhalten zu lassen?

Menschen wollen unterhalten werden. Immer schon. Wir können nicht ohne Geschichten sein, sie sind im wahrsten Sinne des Wortes Unter-Halt für die Seele. Erst mal ist also Unterhaltung nicht negativ. Kritischer ist das Wie der Unterhaltung. Besteht sie nur und ausschließlich aus kurzen Belohnungs-Impulsen, dann führt das für unseren Seelenhaushalt nicht zwingend zu positiven Entwicklungen, sondern zu verstärkter Depressions-Neigung, zur niedriger Frustrationsgrenze und zu Lernschwierigkeiten oder gar Abhängigkeiten.

Liegt hier die Chance für klassische Medien, wieder an Relevanz zu gewinnen, Terrain zurück zu erobern?

Wir können auch seelischen Unterhalt kreieren, der das Seelische stärkt, uns motiviert und unsere Demokratie ebenso. Und da kommen meiner Meinung nach die klassischen Medien mit ins Spiel: Zum einen ist das Thema Unterhaltung etwas, in dem sich gerade TV seit Jahren gut auskennt – und sie können Social Media in großem Stil mitgestalten, statt es wie zu Beginn als Konkurrenz zu sehen. Gerade bei Content gibt es ja für die klassischen Medien einen riesigen Hebel, den sie nutzen können, um so klassisch und social ideal zu verbinden.

Was rätst Du Kommunikationsprofis beim Einsatz von Social Media?

Generell dürfte es für jeden Markenverantwortlichen heute schwierig sein, an Social Media vorbeizukommen. Jedoch ist es viel schwerer, Marken über Social Media allein aufzubauen und gute Markengeschichten zu erzählen, als das in klassischen Medien der Fall ist. Marken sind wie Menschen: Auch wenn viele heute sagen, Menschen seien Personal Brands – ist es vielleicht klug, nochmals den umgekehrten Gedanken zu denken und von Markenpersönlichkeiten zu sprechen. Und eine Persönlichkeit braucht Geschichten, die sie zum Leben erweckt, oder die sie lebendig hält. Sie existiert nicht nur um zu verkaufen, bekannt zu sein – sondern liefert einen Mehrwert im Alltag der Menschen. Ein Wohlgefühl, einen Nutzen – wie wir es insgeheim auch von einem Menschen erwarten. Als Markenverantwortlicher muss ich sicherstellen, dass dieser Mehrwert spürbar und sichtbar wird – und dazu ist Social Media ein Mittel – es sollte für Mensch und Marke nicht das alleinige sein.

Wie gefährlich ist Social Media für Markenverantwortliche?

Es ist eine Gefahr zu glauben, dass Social Media – und die KI – alle Probleme, Challenges und Herausforderungen der Kommunikation quasi von allein löst. Dass ich mir selbst keine Gedanken mehr machen muss, sondern glaube, die Kontrolle abgeben zu können an die Algorithmen oder die Social-Media Agenturen – die übrigens wie Pilze aus dem Boden schießen und oft auch nur bedingt wissen, was sie tun, aber alles versprechen. Der Gedanke, dass man sich quasi der Kommunikation entledigen und sie an die Plattformen abgeben kann, ist reizvoll – und führt statt zu mehr eher zu weniger Nähe zu den Kund:innen.

Welche Fehler sollten Kommunikations- und Marketing-Profis vermeiden?

Die Social-Media-Kommunikatoren machen oft die gleichen Fehler, die die klassischen Werber seit Jahren erforscht haben und Stück für Stück abgelegt hatten – zumindest manche. Hier wird das Rad oft neu erfunden und nicht auf bestehendes Wissen rekurriert: Penetranz nervt online genauso wie im TV oder Briefkasten; Extrem-Targeting führt nicht unbedingt zur Markenbindung und es gibt sogar Negative Conversion. Die Spendings allein im Bereich Social Media zu investieren, ist aus meiner Sicht keine gute Idee. Gerade auch, um das Thema Wahrheit und Echtheit zu stärken, ist es relevant, einen guten Medien-Mix zu haben – da geht es nicht nur um Präsenz, sondern eben auch um Glaubwürdigkeit und so etwas wie einen Proof in der realen Welt.

Wie steht‘s um die Zusammenarbeit mit Influencer:innen – lösen virtuelle Influencer:innen heutige Creator:innen ab?

Virtuelle Influencer sind geschmeidig, widersprechen nicht und altern auch nicht. Wir sind außerdem fasziniert von den Möglichkeiten. Wie nah kommt die KI an echte Menschen heran? Das werden wir noch weiter ausprobieren und ausreizen. Dennoch werden die echten Menschen als Influencer relevant bleiben – oder sogar wieder an Bedeutung gewinnen. Gerade weil das Künstliche schon durch die Filter und die Bearbeitungsmöglichkeiten so überperfekt ist, steigt die Sehnsucht nach dem Echten in gleicher Weise: immer mehr Influencer:innen zeigen das auf. Celeste Barber ist eine davon. Sie spielt perfekte Videos in “echt” nach und zählt mit ihrer Unperfektheit 9,6 Millionen Follower.

Wo liegen die Vor-, wo die Nachteile von virtuellen Influencer:innen für Brands?

Unternehmen können sich entscheiden zwischen KI-kontrolliertem Marketing, das ihnen aktuell das Gefühl vermittelt, nicht mit schwierigen Influencern umgehen zu müssen und Pannen außen vor zu lassen, und authentischen, echten Menschen, die eben nicht ganz zu kaufen und zu beeinflussen sind, aber dafür gerade durch den kleinen Grad an Unperfektheit besonders real und authentisch sind. Für den Glauben, eben alles perfekt inszenieren zu können, verzichten wir aktuell wieder auf Spontanität, Zufälle und Unperfektes. Gerade daraus entwickelt sich aber im Influencer-Marketing oft auch das Interessante. Und die Jugendlichen greifen den Gegentrend auch auf: bei Be-Real – eine ähnliche Funktion gibt es auch schon bei TikTok – oder auch bei Twitch, wo es life und echt sein muss – keine Filter, keine KI, keine Bots.

Wie viel Social Media braucht ein CEO?

Natürlich wünscht sich jeder Konzern, dass sich Mitarbeitende und Management für das Unternehmen stark machen, es repräsentieren und die Werte und strategischen Positionierungen nach außen tragen. Für mich ist das bei CEOs besonders dann gelungen, wenn sie nicht nur ihre Strategien gut vermitteln – das sollte man von einem CEO erwarten dürfen –, sondern auch ihre menschlichen Seiten zeigen. Ihre persönliche Haltung, die auch dann noch da ist, wenn ein Unternehmen gewechselt wird, aber auch mal ein Scheitern, einen Fehler, dann ist es nicht nur Marketing, sondern wirklich glaubwürdig. Was ich auf Social Media-Plattformen übrigens vermisse, sind die mittelständischen Unternehmerinnen und Unternehmer. Aus meiner Sicht eine Gruppe, die allzu häufig die Öffentlichkeit meidet. Dabei bräuchten wir gerade jetzt ihre Haltungen und Positionierungen – vor allem gegen rechts. Ich denke, diese Gruppe könnte viel mehr bewegen – und ja, das ist ein Aufruf und es ist nicht mein erster.

Drei goldene Regeln für den gelungenen Social-Media-Auftritt von Ines Imdahl

1. Regelmäßig, aber nicht übermäßig: Viel ist nicht immer besser und kann sogar nerven. Relevante Regelmäßigkeit ist besser als pure Quantität.

2. Pröffentlich: eine gute Mischung aus Privatem und Öffentlichkeitsrelevantem. Viele Marken, Unternehmen und CEOs posten zu glatt und unpersönlich. Haltung und Authentizität sind wichtig.

3. Digitales Wohnzimmer: Auf dem eigenen Feed/Account muss man nicht alles zulassen. Alles, was man im eigenen Wohnzimmer nicht akzeptieren würde wie Beschimpfungen oder Rechtsextremismus darf man auch hier löschen.