Gen Z: Fakten versus Vorurteile

von lönneker & imdahl rheingold salon

kinder & jugend, kultur & gesellschaft, veröffentlichungen

Gen Z: Fakten versus Vorurteile

von lönneker & imdahl rheingold salon

Welche Themen beschäftigen die Gen Z? Was ist ihnen wichtig und was bereitet ihnen Sorgen? Diplom-Psychologin Ines Imdahl räumt mit Mythen auf und schaut stattdessen auf die Fakten.

Ein Interview von Annette Mattgey – zuerst hier erschienen unter wuv.de.

Keine andere Altersgruppe wurde so intensiv erforscht und befragt wie die Gen Z. Es gibt Berge von Studien und Zahlenmaterial hierzu. Und dennoch bleibt die Frage: Kann man eine Generation überhaupt in eine Schublade packen. Gibt es typische Charakteristika oder sind Übergänge zwischen Alterskohorten nicht ohnehin fließend und werden auch von ganz anderen Umständen, wie beispielsweise Lebensstilen und -umfeld, geprägt?

Warum gibt es eigentlich so viele Mythen und Vorurteile über die GenZ?

Es gibt viele Studien, eigentlich die meisten zu dieser Gruppe, die sich mit Einzelphänomenen auseinandersetzen, wie Medien- oder Kaufverhalten. Das kann je nach Blickwinkel zu völlig konträren Aussagen über die Generation führen. Und natürlich ist eine Generation niemals komplett einheitlich und ohne Widersprüche. Oft fehlt der verbindende oder erläuternde Zusammenhang.      

Erkennen Sie auf Basis all Ihrer Studien, die Sie zur GenZ durchgeführt haben, eine psychologische Struktur, die sich durch all die anscheinend widersprüchlichen Phänomene durchzieht, die die zwischen 1997 und 2012 Geborenen auszeichnen?

Ein grundlegendes Gefühl des Kontrollverlustes, das sich beispielsweise auch im Jugendwort „Lost“ findet, ist die Basis für eine durchgängige psychologische Struktur. Die jungen Menschen haben das Gefühl, weder auf körperlich-persönlicher noch auf kulturell-gesellschaftlicher Ebene im Drivers Seat zu sein. Auf körperlicher Ebene ist das Gefühl in der Pubertät ja fast normal. Denn die Hormone können einen ganz schön aus der Bahn werfen. Gerade auf der zweiten Ebene, die durch Corona, Krieg und Krisen geprägt ist, hat sich oft das Gefühl der Unbeeinflussbarkeit entwickelt. Wir hören mehr von Fatalismus rund um die Klimakrise, als dass wir tatsächlich Klimaaktivisten haben. Diese sind eher medial präsent.

Das Ohnmachtsgefühl ist so stark, dass es kaum auszuhalten ist. Und daher wird das Ohnmacht- in ein Allmachtgefühl gedreht. Die Menschen haben fast alle sehr große Lebens-Vorstellungen. Allein 30 Prozent möchten berühmt werden. Und glücklich soll es auch alles machen, am liebsten sofort, sonst kann es weg. Das Studium oder der Beruf wird schneller abgebrochen als früher. Medial werden immer kürzere Short-Cuts zu Emotionen gewünscht: Nach – noch längeren – YouTube Videos kamen die Reels auf Instagram mit 60 und dann 30 Sekunden, jetzt bedient TikTok die Gefühlswelt in knappen sieben Sekunden. Der kurze Weg zu Glück und Erfolg soll es auch im richtigen Leben sein.

Lässt sich auf Basis Ihrer Forschungsergebnisse sagen, ob es etwas gibt, was die GenZ von allen anderen Altersgruppen unterscheidet?

Genau darum ging es uns in unseren Studien. Wir haben insgesamt fünf zwischen 2016 und 2023 zu dieser Fragestellung durchgeführt, um zu verstehen, was diese Generation oder Kohorte unterscheidet und was sich vielleicht nicht herauswächst, einfach, weil es „typisch Jugend“ ist. Und man kann schon sagen, dass auch der Umgang mit dem Kontrollverlust typisch Gen Z ist: Sie versuchen die Kontrolle vor allem am eigenen Körper zurückzugewinnen. Noch nie sind mehr Jugendliche ins Fitnessstudio gegangen, um ihren Körper nach eignen Vorstellungen zu gestalten. Noch nie haben sich die Jugendlichen mehr geschminkt und auf ihr Äußeres geachtet. Noch nie haben so viele junge Menschen gedacht, dass sie sich den Körper oder das Gesicht ihrer Wünsche schon selbst herstellen können. Auch mit OPs – für die sie viel offener sind als jede andere Altersgruppe.

Was unterscheidet die GenZ am meisten von allen anderen Generationen?

Sie sieht wegen des Gefühls der Ohnmacht, die Gestaltung und Kontrolle des Äußeren als existenziell an. Für sie ist es nicht oberflächlich, sondern ein echter Wert. Versteht man den Hintergrund, können Eltern das vielleicht auch besser einordnen.

Ist es eigentlich so, dass Altersgruppen ihre typischen Verhaltensweisen beibehalten, wenn sie der entsprechenden Kohorte entwachsen, oder verändert sich diese, etwa mit dem Einstieg ins Berufsleben oder mit der Gründung einer Familie?

In jeder Generation gibt es Eigenschaften und Verhaltensweisen, die sich auswachsen und andere, die eher als „typisch“ bleiben werden. Das Typische ist unabhängig vom Alter und eher durch die Kultur oder Gesellschaft, in die die Menschen hineingeboren wurden, geprägt. Gleichzeitig prägt diese Kultur auch wieder andere Altersgruppen mit, so dass es ganz schön komplex ist, herauszufiltern, was jetzt „nur“ bei den Jungen vorhanden ist. Aber ist das nötig? Genau genommen nicht, wir sollten uns immer nur fragen, haben wir die Menschen gut genug verstanden, ihnen gut genug zugehört.

Die Gen Z ist eine der meisterforschten Zielgruppen. In absoluten Zahlen betrachtet ist diese Alterskohorte aber ja eine vergleichsweise kleine Zielgruppe. Die deutsche Bevölkerung ist schon heute die zweitälteste der Welt. Müsste die Medien- und Werbewirtschaft nicht viel mehr ein Spotlicht auf ältere Zielgruppen werfen und sich damit auseinandersetzten, wie diese Zielgruppe tickt?

Genau das werde ich nicht müde zu betonen: Mit 50 sind wir genauso weit entfernt von 20 wie von 80. Eine enorm wichtige Zielgruppe, die wir gern besser verstehen dürfen. Zumal hier auch viel Geld und Kaufkraft vorhanden ist. Darüber hinaus mag es die junge Zielgruppe umgekehrt überhaupt nicht, wenn sich ständig angebiedert wird – sie influenzt die Gesellschaft, ohne sie im eigentlichen Sinne influencen zu wollen.