„Kommt der Pranger zurück?“

von Jens Lönneker

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„Kommt der Pranger zurück?“

von Jens Lönneker

So betitelte die „Wetzlarer Neue Zeitung“ in der Serie „Demokratie leben!“ das Interview mit Jens Lönneker zum Thema Glaubwürdigkeit. Die Frage ist: Wenn Emotionen zu Wahrheit werden, ist dann die Demokratie in Gefahr? Und wer ist verantwortlich für diese Entwicklungen? Die Politiker, die Presse, die Journalisten? Lesen Sie das Interview zu unserem Thema „Pröffentlichkeit“ oder wenn Privates und Öffentliches zusammenfallen.

Wer Tränen zeigt, wird oft für glaubwürdiger gehalten, als jemand, der mit Fakten aufwartet. Doch wenn Emotionen zur Wahrheit werden, gerät dann die Demokratie in Gefahr? Nicht unbedingt, findet Jens Lönneker, Geschäftsführer von rheingold salon.

Iris Baar: Herr Lönneker, selbstgebastelte Galgen für Politiker, „Lügenpresse“-Rufe auf Demonstrationen. Was haben Politiker und Journalisten falsch gemacht, dass sie so an Glaubwürdigkeit verloren haben?

Jens Lönneker: Ich sehe die Verantwortlichkeit nicht bei den beiden Berufsständen direkt. Sie sind Opfer einer gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklung, die heute Formen der Argumentationen im öffentlichen Raumzulässt, die vor 50 oder 60 Jahren nicht zulässig waren. Dazu zählen–wenn man es noch freundlich ausdrücken will –die emotionalen Äußerungen, aber auch Dinge, die wir schon glaubten, überwunden zu haben wie beispielsweise den Pranger. Den haben wir heute wieder, in dem Menschen beschimpft und verunglimpft werden bis hin zu den Plakaten mit Politikern am Galgen. Diese heftige Form der Auseinandersetzung, der Beschimpfungen, des Shit Storms aus der Anonymität der Masse heraus, das ist neu. Oder seit dem Mittelalter wieder da.

Iris Baar: Was hat sich in den vergangenen 50 Jahren in unserer Gesellschaft verändert, dass emotionalen Äußerungen bis hin zu derartigen Entgleisungen mehr Glaubwürdigkeit geschenkt wird als nüchternen Fakten?

Jens Lönneker: Glaubwürdig ist heute jemand, der emotional wird. Das Argumentieren auf Basis von Fakten wird dagegen als reines Taktieren empfunden. Woher das kommt? Die Trennung zwischen privatem und öffentlichem Raum, die wir über lange Zeit in den westlichen Ländern hatten, existiert nicht mehr. Lange Zeit musste man in Ländern der so genannten Aufklärung und im westlichen Raum in der Öffentlichkeit vernünftig und rational aufgeklärt argumentieren. Das ist in den vergangenen Jahren immer weiter in den Hintergrund gedrängt worden. Äußerungen, die bisher im privaten Bereich zulässig waren, emotionale und in sich widersprüchliche Argumentationen, wurden dafür mehr und mehr im öffentlichen Raum zugelassen. Wir sprechen in einer unserer Studien in diesem Zusammenhang von der neuen Pröffentlichkeit, also das Private und das Öffentliche fallen zusammen.

Iris Baar: Was bedeutet das für unsere Demokratie?

Jens Lönneker: Diese Pröffentlichkeit bringt uns in eine Situation, die für Politiker und Journalisten unglücklich, ja sehr unangenehm ist. Klassische und vernünftige Darstellungsformen werden zum einen als nicht authentisch und nicht wahrhaftig diskreditiert. Zugleich bekommen Politiker oder auch Journalisten nur noch dann eine gewisse Reichweite, also Gehör, wenn sie selbst stärker zu Mitteln greifen, die nicht vernünftig sind. Wenn sie sich also auch emotionaler Bilder bedienen. Darin besteht die Gefahr.

Iris Baar: Das Glaubwürdigkeitsproblem hat populistische Bewegungen wie Pegida hervorgebracht, auch die am rechten Rand angesiedelte AfD profitiert von dem Phänomen. Rückt unser Land durch die „Privatisierung des Öffentlichen“ beziehungsweise den Sieg der Emotionen über die Faktennach rechts?

Jens Lönneker: Im Moment ist das so. Das könnte aber auch nach links gehen. In den westlichen Kulturen, also nicht nur in Deutschland, haben wir das Problem, dass die Menschen in den vergangenen Jahrzehnten zwischen den rechten und den linken Führungseliten vergessen worden sind. Die rechten Eliten haben die Grenzen immer weiter aufgemacht, indem sie die Privatisierung der Märkte vorangetrieben haben. Die linken Eliten haben die Internationalisierung besungen und Multi-Kulti propagiert. Was dabei vergessen wurde, ist der Teil der Leute, die da nicht mitkommen .Die jetzt fragen: Wo bleiben wir denn? Das sind die Menschen, die jetzt anfangen, zu protestieren. Sie sind tendenziell älter und ihren Geburtsländern verhaftet. Es sind die, die einen Donald Trump, die AfD oder einen Brexit wählen.

Iris Baar: Das gilt aber nicht für alle westlichen Kulturen…

Jens Lönneker: Nein, es kann auch ganz woanders hinführen, wie wir in Frankreich am Beispiel Macron sehen können. Ihm ist es gelungen, den Menschen ein ganz neues Angebot zu machen, das parteienübergreifend ist und dadurch verschiedene Klientel bedienen kann, auch die nationalistischen Kräfte. Ohne Macron hätte die nationalistische Partei Le Pen deutlich mehr Stimmen bekommen.

Iris Baar: Macron ist also Hoffnungsträger für den Erhalt demokratischer Strukturen im Westen?

Jens Lönneker: Kann man so sagen. Macron ist es gelungen, Politik ein Stückweit zu revolutionieren. Er ist unverbraucht, versucht, neue Strukturen aufzubauen und das Land zu modernisieren. Er versucht, einen Bogen zu spannen, der links und rechts überwindet. Am Ende ist das so eine Art Heilands Versprechen. Man muss sehen, was sich davon im Alltag umsetzen lässt. Bei Obama ist ja vieles im alltäglichen Politik-Geschäft zerrieben worden. Aber im Moment ruhen auf Macron viele Hoffnungen.

Iris Baar: Was können Politiker oder Journalisten hierzulande tun, um Glaubwürdigkeit wieder herzustellen?

Jens Lönneker: Ich denke, dass wir die Zeit nicht zurückdrehen können .Wir müssen damit leben, dass wir heute in einem pröffentlichen Raum unterwegs sind, der die privat-persönlichen Momente mit einbindet. Der homo oeconomicus, der Mensch, der wirtschaftliche Entscheidungen nur nach rein rationalen Erwägungen trifft, ist ein Auslaufmodell. Wir müssen uns damit beschäftigen, wie wir die Emotionen, die ja doch irgendwie wichtig sind, integriert bekommen. Politiker sollten deshalb den Mut haben, Persönlichkeitsmerkmale mit einzubringen, Ecken und Kanten zu zeigen. Was die Medien anbelangt, können –gerade im politischen Bereich – durchaus mehr Elemente aus dem Bereich der Homestory in die Berichterstattung einfließen. Und Lokalzeitungen müssen über Themen eine Identifikation der Leser mit ihrer Region schaffen. Wir müssen nur aufpassen, dass Emotionalität nicht alleine die neue Währung wird. Wir müssen auf eine gesunde Mischung zwischen öffentlich-rational vernünftigen Argumentationen und den emotional-privaten Äußerungen hinarbeiten.

Lesen Sie hier den Artikel der „Wetzlaurer Neue Zeitung“…

*mit freundlicher Genehmigung der Zeitungsgruppe LahnDill